Resilienz Aus unsicheren Lieferketten werden zuverlässige Supply Chains

Von Wolfgang Bode, Claus W. Gerberich und Michael Lempik |

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Die Turbulenzen in den Weltmärkten, geprägt durch Coronapandemie und den Ukrainekrieg auf europäischem Boden, haben zu enormen Irritationen in den Versorgungsketten geführt. Die Versorgungssicherheit ist nicht mehr gewährleistet und viele Märkte – sowohl B2B als auch B2C – haben Engpässe und damit Produktionsausfälle.

Die Supply-Chain-Manager dieser Welt stehen vor neuen Herausforderungen, denn die Vorsorgungssicherheit muss gerade in Krisenzeiten aufrecht erhalten werden.
Die Supply-Chain-Manager dieser Welt stehen vor neuen Herausforderungen, denn die Vorsorgungssicherheit muss gerade in Krisenzeiten aufrecht erhalten werden.
(Bild: Dilok - stock.adobe.com)

Das fordert die Unternehmen heraus, ihr bisheriges Supply-Chain-Management zu überdenken und neu zu definieren. Die Transparenz in der Supply Chain muss gewährleistet sein und die Wertschöpfungskette neu gestaltet werden. Die Anforderungen an Lieferanten müssen neu definiert werden und die Datenintegration in der Lieferkette muss umgesetzt werden. Die Unternehmen stehen damit vor einer der größten Herausforderungen und alternative Wege müssen geprüft und verfolgt werden.

Aktuelle Engpässe

Die Versorgungssicherheit ist und bleibt auch in der nächsten Zeit kritisch. Die Coronapandemie hat dazu beigetragen, aber auch die Politik wichtiger asiatischer Lieferanten, die damit ihre Machtposition ausspielen können. Daher muss man davon ausgehen, dass auch nach Corona noch Lieferengpässe vorhanden sein werden. Produktion und Lieferketten müssen gerade in der Krise aufrecht erhalten werden.

Eine ZVEI-Umfrage hat diesbezüglich ergeben:

  • 69 Prozent der Befragten sehen die Lieferkette leicht gestört;
  • 11 Prozent der Befragten sehen die Logistikkette stark gestört beziehungsweise gerissen;
  • 59 Prozent halten bei einer verspäteten Exit-Strategie eine dauerhafte Schädigung von Produktions- und Lieferketten für wahrscheinlich.

Damit ist dringender operativer, aber auch strategischer Handlungsbedarf gegeben. Eine McKinsey-Studie zu den gestörten Lieferketten zeigt die schwierige Situation auf und gibt wichtige Leitlinien des Handelns vor.

Der Druck auf die Lieferketten

Lieferkettenmanager stehen weltweit unter Druck: Über 90 Prozent investierten zwar während der Coronakrise, um ihre Lieferketten widerstandsfähiger gegen externe Störungen zu machen. Öfter als geplant jedoch griffen Supply-Chain-Manager zu der Ad-hoc-Maßnahme, einfach nur die Lagerbestände und Materialpuffer zu erhöhen. Dadurch wird aber die Kapitalbindung erhöht und damit die Rentabilität und Liquidität des Unternehmens geschwächt.

Ad-hoc-Maßnahmen als Kurzfristmaßnahmen

Viele Unternehmen haben mit Ad-hoc-Maßnahmen ihre Lagerbestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen aufgestockt, um produktions- und lieferfähig zu bleiben. Dies hilft zwar kurzfristig, sichert aber nicht die langfristige Versorgungssituation. Die Ursachen der Probleme werden damit nicht bekämpft.

Strategische Langfristmaßnahmen

Und auch weniger häufig als geplant setzten sie auf Langfristeffekte, indem sie ihre Zuliefererbasis regionalisierten. Das sind die zentralen Ergebnisse einer Vergleichsstudie, für welche die Unternehmensberatung McKinsey & Company weltweit über 70 Supply-Chain-Manager führender Unternehmen befragt hat – 2020 zum ersten Mal und in diesem Jahr erneut.

Einsatz digitaler Technologien

Weitere Ergebnisse der Studie: Digitale Technologien kommen heute deutlich häufiger zum Einsatz als zu Beginn der Pandemie, zum Beispiel Echtzeit-Monitoring oder auf Künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data basierende Analytik. Aber insgesamt werden diese Techniken im Supply-Chain-Management noch viel zu selten – insbesondere im Mittelstand – genutzt. Der Reifegrad der Digitalisierung ist im Supply-Chain-Management noch relativ gering.

Mangel an IT-Fachkräften im SCM und IT-Kompetenz im Management

Die Umfrage beziffert auch den eklatanten Mangel an IT-Fachkräften im Bereich Supply-Management: 2021 verfügten nur ein Prozent der befragten Unternehmen über genügend IT-Fachkräfte. Im Zuge des Digitalisierungsschubs wird der Bedarf an IT-Qualifikationen noch mehr zum Flaschenhals, als er es ohnehin schon gewesen ist. Damit nehmen auch die Handlungsspielräume dramatisch ab. 2020 hatten immerhin noch 10 Prozent der befragten Supply-Chain-Manager auf ausreichend Expertinnen und Experten mit entsprechendem IT-Know-how in ihren Abteilungen zurückgreifen können.

Wie haben die Supply-Chain-Manager in der Krise konkret agiert?

Fast alle Befragten (92 Prozent) haben in die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferketten investiert, 80 Prozent zudem in digitale Supply-Chain-Technologien. Aber während 40 Prozent der Befragten 2020 im ersten „Supply Chain Pulse“ von McKinsey noch ein Nearshoring und den Ausbau ihrer Lieferantenbasis geplant hatten, haben dies schließlich doch nur 15 Prozent auch in die Tat umgesetzt. Stattdessen bauten deutlich mehr Manager als erwartet, 42 gegenüber 27 Prozent, ihre Lagerbestände aus. Dies greift aber nicht die Probleme an ihren Wurzel an.

Regionalität der Versorgung

Die Vergleichsstudie 2020/21 zeigt auch: Supply-Chain-Manager haben, je nach Branche, sehr unterschiedlich in der Krise agiert. Das Gesundheitswesen darf mit seinen medizinischen Lieferketten als Vorreiter bei der Regionalisierung der Supply Chains gelten: 60 Prozent der Befragten in der Branche haben, wie von ihnen auch angekündigt, tatsächlich Beschaffung, Produktion und Vertrieb auf eine Region wie Europa oder Nordamerika konzentriert. Dies hatten 2020 auch 33 Prozent der Unternehmen aus der Automobil-, Luft- und Raumfahrt- sowie Verteidigungsindustrie angekündigt. Umgesetzt haben dies letztlich nach eigenen Angaben aber nur 22 Prozent. Die Regionalität der Versorgung ist aber häufig mit Preisnachteilen verbunden, die nur beschränkt an die Kunden weitergegeben werden können.

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Regionale Versorgungszentren sind in den Märkten Asien, Europa und Nordamerika noch neu aufzubauen. Und das, obwohl mehr als drei Viertel der Supply-Chain-Manager dieser Maßnahme Priorität eingeräumt hatten. Die Branchen Chemie und Rohstoffe nahmen die wenigsten Veränderungen an ihren Lieferketten vor. Besonders häufig sind die Anstöße in der Automobilindustrie und in der Elektronikbranche, aber auch in der Medizintechnik und der Pharmabranche zu finden.

Lieferantenbewertung und Lieferantenentwicklung

Die Anforderungen an die Lieferantenbewertung und -entwicklung verändern sich. Die Anforderungen an Agilität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit rücken immer mehr in den Vordergrund. Der Reifegrad der Kernprozesse insbesondere der Auftragsabwicklung rückt in den Vordergrund, um sicherzustellen, dass der Lieferant in der Lage ist, die Größe „On-Time-Delivery“ mit einer hohen Sicherheit zu beherrschen.

Ebenso spielen der digitale Reifegrad und die Transparenz eine immer wichtigere Rolle in der Evaluation. Die Sicherung des digitalen Datenaustausches rückt stärker in den Fokus.

Nach der Krise ist vor der Krise

Über Jahre haben sich die Lieferketten zu einem hochfrequenten sensiblen Organismus entwickelt. Konsequent globalisiert, auf die Schwankungen der Verbraucherwünsche optimiert und mit möglichst geringer Lagerhaltung, um Kosten zu sparen. „Diese Strategie hat die Unternehmen verwundbar gemacht“, stellt McKinsey-Partner Knut Alicke fest. „Und in der Krise wurden oftmals eher kurzfristig wirksame Maßnahmen ergriffen.“ Die Folge: Die Lieferketten sind noch nicht widerstandsfähig genug, um künftige Störungen zu verhindern. „Für Unternehmen bleibt das Nearshoring der Lieferanten mittel- bis langfristig ein Schlüsselfaktor, um ihre Krisenfestigkeit zu erhöhen.“ Daneben seien Ausbau und Nutzung digitaler Technologien aber die zentralen Faktoren für resiliente Lieferketten.

Versorgungssicherheit unter den Aspekten logistischer Dienstleistungen

Die moderne Industrie und der moderne Handel bestehen aus weltweit ausgeprägten Netzwerken, die diverse logistische Prozesse der Transport-, Umschlags- und Lagerfunktion beinhalten, in der Regel sogar mehrfach an verschiedenen Orten auf verschiedenen Kontinenten. Die logistischen Prozesse sind von daher sehr komplex und funktionieren nur dann perfekt, wenn alle Logistikprozesse wunsch- und plangemäß funktionieren.

Das Management dieser Supply Chains wird überwiegend etablierten Logistikdienstleistern übertragen, die entweder selbst oder auch in Kooperationen über weltumspannende Netzwerke verfügen. Störungen an einer oder mehreren Stellen im Netz werden in der Regel durch schnelles und beherztes Handeln in ihren Negativauswirkungen reduziert.

Störungen in der Supply Chain, wie sie aktuell durch den Ukrainekrieg oder durch die weltweite Coronapandemie existieren, sind als Worst-Case-Szenario kaum beherrschbar und werden auch längerfristig ihre Folgen hinterlassen.

In mathematischer Verbindung mit Eintrittswahrscheinlichkeiten sind potenzielle Störungen denkbar, die in ihren Auswirkungen systematisch zu quantifizieren und wofür geeignete Notfallstrategien zu entwickeln sind:

  • Umwelteinflüsse/-katastrophen
  • Havarien
  • Brand/Feuer
  • Sabotage
  • Ausfall von Transport-/Umschlag- und Lagermitteln
  • Streik
  • Cyberangriffe
  • Terrorangriffe/kriegerische Auseinandersetzungen

Welche Maßnahmen sind grundsätzlich möglich?

Neben der häufig zitierten Maßnahme der Bestandserhöhung sind weitere Maßnahmen realisierbar:

  • Aufteilung von Sendungen auf verschiedene Verkehrsmittel
  • Aufteilung von Sendungen auf verschiedene Transport-Relationen
  • Aufteilung von Sendungen in verschiedenen Zeitfenstern

Diese Maßnahmen werden unweigerlich zu einer Erhöhung der Gesamtlogistikkosten führen und müssen vom Kunden gemäß seines Sicherheitsbedürfnisses ausgewählt werden. Den Logistikdienstleistern wird empfohlen, ihre Leistungsangebote mit gestuften Security Degrees anzubieten, um den Kunden ein transparentes Preis-Leistungs-Verhältnis zu bieten.

Die Neugestaltung der Wertschöpfungskette

Ein wichtiges strategisches Thema ist die Überprüfung und Veränderung der Wertschöpfungskette. Bisher haben die Unternehmen fast ausschließlich auf das Outsourcing gesetzt, jetzt wird wieder stärker geprüft, welche kritischen Stufen wieder zurückgeholt werden können. Dies ist aber mit hohen Investitionen und auch mit dem Aufbau neuer Kompetenzen verbunden und hat erst mittelfristig einen Effekt, verringert aber deutlich die Abhängigkeit von der Supply Chain. Die Integration der Wertschöpfungskette wird zum Unternehmens-Purpose.

Der Handlungsdruck wächst

Der Handlungsdruck ist groß: Massive Störungen der Lieferkette treten durchschnittlich alle 3,7 Jahre auf und bringen Lieferketten mindestens einen Monat lang aus dem Tritt. Zu diesem Ergebnis kam bereits 2020 eine andere McKinsey-Studie zum Thema Supply Chains mit dem Titel „Risk, resilience, and rebalancing in global value chains“.

Daher muss davon ausgegangen werden, dass es auch in der Zukunft immer wieder zu Störungen und Ausfällen kommen wird. Deshalb wird die Versorgungssicherheit zu einer besonders wichtigen unternehmerischen Aufgabe.

Die Lieferketten müssen zukünftig immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden und auch die geopolitischen Risiken (Ukraine, Russland, Iran, Nordkorea) werden immer mehr zu beachtende Bestandteil der unternehmerischen Aufgabe.

Veranstaltungshinweis

Zu diesem Themenkomplex wird am Donnerstag, den 6. Oktober 2022 in Herdecke ein Management-Kongress mit dem Motto „Supply Chain Risk Management – Planung, Best Practices“ stattfinden. Veranstalter ist der RheinRuhrAkademie Herdecke e. V.

Interessenten obiger Veranstaltung können sich hier das verbindliche Anmeldeformular (per Fax) downloaden oder sich formlos per E-Mail unter info@pbaka.de anmelden.

* Prof. em. Dipl.-Ing. Wolfgang Bode ist stellv. Vorstand des RheinRuhrAkademie Herdecke e. V. in 44229 Dortmund, Tel. +49 231 9767977, info@rrah-ev.de; Prof. Dr. Claus Gerberich lehrt an der HS Luzern und der Business Performance Academy in Heidelberg; Dr.-Ing. Michael Lempik ist Vorstand der RheinRuhrAcademy Herdecke e. V.

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