Werkstoffe Keine Zukunft ohne Rohstoff
Die Herstellung von Produkten und die Entwicklung neuer Technologien ist stark von der Verfügbarkeit der benötigten Rohstoffe abhängig – Rohstoffe, die es in Deutschland oft nicht gibt und die deshalb importiert werden müssen. Doch die Quellen sind endlich, die Materialien begehrt. Unternehmen müssen deshalb nachhaltig in die Sicherung der Rohstoffversorgung investieren.
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Die Digitalisierung ist allgegenwärtig. So hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) jüngst ein Positionspapier veröffentlicht, in dem er unter dem Titel „Rohstoffversorgung 4.0“ auch eine nachhaltige Rohstoffpolitik von der Digitalisierung beeinflusst sieht. Ohne Hightech-Rohstoffe, wie sie für Energiewende, Elektromobilität und Industrie 4.0 benötigt werden, könne es keine Zukunftstechnologien „Made in Germany“ geben, warnen BDI-Präsident Dieter Kempf und Hans-Joachim Welsch, Vorsitzender des BDI-Ausschusses für Rohstoffpolitik, in ihrem Vorwort. Sie betonen: „Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wird zu einer zentralen Herausforderung für das Industrieland Deutschland.“ Es gehe daher um eine nachhaltige Rohstoffversorgung, wobei nicht nur die Nachfrage steigen, sondern auch der Bedarf an Rohstoffen sich verändern werde.
Die Industrie muss sich laut BDI gemeinsam mit der Politik auf die Veränderung des Rohstoffbedarfs vorbereiten. Alle drei Säulen der Rohstoffsicherung – Importrohstoffe, heimische Rohstoffe und Recyclingrohstoffe – seien in gleicher Weise zu berücksichtigen. Wichtig ist in vielen Bereichen der Industrie ein offener und ganzheitlicher Ansatz für den Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft. Manfred Ritz vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) erläutert: „Bausteine für eine zirkuläre Wirtschaft sind neben dem Recycling auch die Nutzung von Nebenprodukten als Rohstoff, die energetische Abfallverwertung und das Schließen des CO2-Kreislaufs durch Nutzung nachwachsender Rohstoffe oder die Nutzung von CO2.“
Zukunftstechnologie braucht Rohstoffe
Welche Rohstoffe in welchen Mengen benötigt werden, hängt nach Ansicht des BDI maßgeblich von der Entwicklung und Produktion innovativer Produkte und Technologien ab. Sollen in Zukunft Elektromotoren und Batterien in Deutschland produziert werden, so steige der Bedarf an Lithium und Kobalt stark an. Auch Stahl werde für die Produktion der Elektromotoren gebraucht, ebenso wie für den Ausbau der Infrastruktur rund um die Elektromobilität. Windkraftanlagen brauchten Seltene Erden, aber auch Sand und Kies. Für Glasfaserkabel würden große Mengen Germanium benötigt. Mehr Zukunftstechnologien „Made in Germany“ bedeuteten vor allem einen deutlichen Anstieg des Bedarfs an metallischen Rohstoffen, der nicht aus inländischem Abbau gesichert werden könne und Rohstoffimporte weiter steigen lasse. Die Unternehmen seien zwar in erster Linie für ihre Versorgung selbst verantwortlich, doch die Politik müsse verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, um einen fairen Wettbewerb auf offenen Märkten zu ermöglichen. Denn für das Industrieland Deutschland sei der sichere Zugang zu Rohstoffen von enormer Bedeutung. Vor allem die Nachfrage nach Hightech-Rohstoffen wachse überproportional stark und entsprechend hoch seien dadurch auch die Risiken für Preisschwankungen.
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Rohstoffversorgung
Risikofall Metallrohstoff
Maßnahmen zur Sicherung der Rohstoffversorgung
Zu den Maßnahmen, die von Unternehmen selbst zur Sicherung ihrer Rohstoffversorgung ergriffen werden können, zählen die Vergrößerung der Lagerbestände, das Abschließen langfristiger Lieferverträge, die Aufnahme zusätzlicher Adressen und Länder in den Lieferantenkreis und – soweit möglich – die Substitution bestimmter Rohstoffe durch andere, außerdem Sicherungsgeschäfte wie das Hedging. Auch das Recycling kann zur Erhöhung der Rohstoffsicherheit beitragen. Dazu meint Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI): „Recycling beziehungsweise die Nutzung von Sekundärrohstoffen ist eine der tragenden Säulen der Rohstoffsicherung. Dies gilt auch für die Steigerung der Rohstoffeffizienz.“
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Fraunhofer
Permanentmagnete aus Antrieben kostengünstig recyceln
Wie essenziell der Beitrag des Recyclings zur Rohstoffsicherung ist, lässt sich laut Gontermann am Beispiel der Nichteisen-Metalle veranschaulichen. Dabei liege die Recyclingquote heute bereits bei der Hälfte. Dennoch werde die Rohstoffknappheit immer größer, da die Nachfrage weiter wachse. Bekanntlich konkurrierten auch die Schwellenländer – allen voran China – um die Grundstoffe. „Die globalen Vorräte sind endlich und dabei oftmals auch noch auf wenige Regionen oder Länder konzentriert“, beklagt Gontermann. Hinzu kämen Handelshemmnisse und machtstrategisches Verhalten der Anbieter – und manchmal sogar reine Spekulation, die dazu geführt habe, dass Rohstoffe als eigene Asset-Klasse gehandelt werden.
Digitales Ökosystem in der Bauindustrie
Besonders hoch ist die Angebotskonzentration bei den Seltenen Erden, deren jährliche Produktion zu rund 90 % auf China entfällt. Deshalb fordert Gontermann: „Wichtig ist, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu ausländischen Rohstoffmärkten sichergestellt ist.“ Die internationale Dimension der Rohstoffsicherung ergebe sich allein schon aus den geografischen Konstellationen: Fast alle von der deutschen Industrie benötigten originären Rohstoffe müssten aus dem Ausland bezogen werden.
Einen interessanten Ansatz für die Rohstoffversorgung der Bauindustrie, die eine der ressourcenintensivsten Branchen in Deutschland ist, hat Ralph Büchele, Partner der Unternehmensberatung Roland Berger: ein digitales Ökosystem aller Beteiligten im Bausektor, vom Planer bis zum Recycler. Das liefert umfangreiche Informationen über die verbauten Materialien und erleichtert somit die Identifikation, Selektion und Aufbereitung höherwertiger Rohstoffe. „Dadurch wird die gebaute Infrastruktur zu einem Rohstofflager für zukünftige Projekte“, stellt er fest. Digitale Ökosysteme ermöglichten folglich eine signifikante Verbesserung der Rohstoffversorgung durch Recycling.
Rohstoffsicherheit ist für Büchele in allen Industriezweigen essenziell und er nennt einen typischen Fall: „Für die Herstellung von Batterien braucht man große Mengen an Nickel, Lithium und Kobalt – Metalle, die bisher kaum gebraucht wurden. Da ist natürlich das Thema Rohstoffversorgung in Zukunft extrem wichtig.“ Unternehmen müssten daher ihre Einkaufsstrategien anpassen, etwa langfristigere Verträge mit den Rohstofflieferanten abschließen. Auch sei das Lieferantenportfolio insbesondere für strategische Rohstoffe auf eine breitere Basis zu stellen. Single Sourcing werde dann nicht mehr ausreichen. Zudem empfiehlt Büchele, das Lieferverhältnis zu optimieren: Rohstofflieferanten müssten ihrer Wichtigkeit entsprechend gut behandelt werden. Ziel müsse eine Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe sein.
Geschäftsmodell mit Recycling
Weil die Beschaffung primärer Rohstoffe so schwierig sein kann, befassen sich mittlerweile zahlreiche deutsche Industrieunternehmen mit den Themen Recycling und Kreislaufwirtschaft. So hebt Oliver Groß von den Grillo-Werken hervor, dass diese Problematik für sein Unternehmen schon immer hohe Priorität genießt und sogar als Geschäftsmodell dienen kann: „Überspitzt formuliert baut unser Geschäft zu großen Teilen darauf auf.“ Er ist stolz auf eine neue, quasi idealtypische Recyclingkooperation von Grillo mit Aurubis. Man nutze einen Filterstaub des Partners, der bei der Kupfergewinnung aus Sekundärrohstoffen anfällt, um hochwertiges Zinksulfat herzustellen.
Für so manches Unternehmen ist Recycling mittlerweile die wichtigste Rohstoffquelle. Groß gibt ein Beispiel: „Wir entsorgen am Standort Duisburg als anerkannter Entsorgungsfachbetrieb stark verunreinigte Schwefelsäure und nutzen die Bausteine, um reinstes Schwefeldioxid herzustellen und an die Industrie zu liefern.“ Als weiteren Fall von Rohstofflieferung nach Recycling nennt er die Aktivitäten des Grillo-Schwefelverbunds in Frankfurt-Höchst. Dieser baut auf Schwefel aus Raffinerien auf, der durch die zwingend notwendige Entschwefelung von Treibstoffen anfällt. Daraus wird nicht zuletzt Schwefelsäure produziert, die wiederum unter anderem in Raffinerien eingesetzt wird und nach Gebrauch fachgerecht entsorgt werden muss – womit sich der Kreis schließt.
Nachwachsende Rohstoffe nutzen
Nebenprodukte einer Fabrik können an anderer Stelle oft als Einsatzstoffe dienen und so zur Rohstoffeffizienz beitragen. Zur Realisierung eines solchen Konzepts ist ein Verbund im Unternehmen erforderlich, den Christine Haupt von BASF so beschreibt: „Produktionsanlagen, Energiefluss, Logistik und Infrastruktur werden intelligent miteinander vernetzt, um die Produktausbeute zu steigern, Ressourcen und Energie zu sparen und Logistikkosten zu senken.“ Freilich kann damit nur ein bescheidener Beitrag zur Rohstoffbeschaffung geleistet werden, wenn man bedenkt, dass beispielsweise BASF im Jahr 2016 insgesamt etwa 30.000 verschiedene Rohstoffe von über 6000 Lieferanten bezogen hat – darunter Naphta, Erdgas, Methanol, Ammoniak und Benzol als einige der wichtigsten.
Neben fossilen Rohstoffen setzt der Konzern auch nachwachsende Rohstoffe ein. „Wir nutzen diese für die Herstellung von Produkten, die nicht oder nur mit deutlich mehr Aufwand aus fossilen Quellen hergestellt werden könnten“, erklärt Haupt. Daneben böten nachwachsende Rohstoffe die Möglichkeit, die Rohstoffbasis zu verbreitern. Bereits zu Beginn des Produktionsprozesses werde ein Teil fossiler Rohstoffe durch erneuerbare Rohstoffe ersetzt.
Verband hat Rohstoffsicherheit im Blick
Die im Branchenverband VDMA zusammengeschlossenen Unternehmen beschäftigen sich auf dem Feld der Rohstoffsicherheit/Vulnerabilität in erster Linie mit dem effizienten und ressourcenbewussten Einsatz von Materialien im Rahmen der Produktentwicklung und Herstellung von Maschinen und Anlagen. „Weiterhin befassen wir uns auch mit der Verfügbarkeit von sogenannten kritischen Industrierohstoffen und den Maßnahmen zur Verhinderung möglicher Versorgungsrisiken von Ressourcen auf Unternehmensebene“, berichtet Sylvi Claußnitzer vom VDMA. Versorgungsengpässe könnten den gesamten Unternehmensumsatz bedrohen, warnt Naemi Denz, Leiterin der VDMA-Abteilung Technik und Umwelt. Intelligente Strategien zum Umgang mit Ressourcen seien mehr denn je gefragt. Doch bei Diskussionen zu Primärrohstoffen fühlten sich die meisten Maschinen- und Anlagenbauer nicht betroffen, weil sie vornehmlich Halb- und Fertigzeuge einsetzten.
Nach Erkenntnissen der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) entstehen Beschaffungsrisiken entweder durch volatile Rohstoffpreise oder durch Verfügbarkeitsprobleme. „Für Unternehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sie ihre Rohstoffbeschaffung absichern können“, teilte die Dera in einer Stellungnahme gegenüber dem MM Maschinenmarkt mit. Zu den üblichen Instrumenten zur Absicherung zählten beispielsweise Preisgleitklauseln, Abnahmeverträge mit Bergbauunternehmen, Langzeitverträge, Lagerhaltung, Käufergemeinschaften und Hedging bei börsennotierten Rohstoffen. Darüber hinaus sollten Einkäufer die Rohstoffmärkte genau analysieren und ihre Lieferquellen diversifizieren. Weitere Möglichkeiten der Minimierung von Preis- und Lieferrisiken gebe es im Bereich der Forschung und Produktentwicklung, die jedoch meist längere Vorlaufzeiten benötigten.
Protektionismus auf dem Vormarsch
Natürlich sind die einzelnen Branchen in unterschiedlichem Maß auf Rohstoffe angewiesen. So ist die Stahlindustrie ein rohstoffintensiver Wirtschaftszweig. „Ein ungehinderter Zugang zu den internationalen Rohstoffmärkten ist somit unverzichtbar“, betont Klaus Schmidtke von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Allerdings sei der Protektionismus bei Rohstoffen seit Jahren weltweit auf dem Vormarsch. Diese beschränkenden Maßnahmen behinderten den freien Zugang zu Rohstoffen und verzerrten den Wettbewerb mit den Unternehmen der betreffenden Länder. Ziel der Politik müsse es sein, solche Handels- und Wettbewerbsverzerrungen noch vehementer zu bekämpfen. Stahlschrott sei das einzige Einsatzmaterial für die Stahlproduktion, das in Deutschland in ausreichendem Maß vorhanden ist. In Deutschland werde allein die Hälfte des Stahls aus Recyclingmaterial hergestellt.
Dass Recycling ein wichtiger Beitrag zur Rohstoffversorgung ist, bestätigt auch Nicole Neuer von der Robert Bosch GmbH: „Wo möglich, verwerten wir Produktionsrückstände über externe Recyclingsysteme.“ Darüber hinaus setze Bosch auf das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Das bedeute, dass Produktionsrückstände, die von Spezialunternehmen recycelt werden, wieder in den Produktionsprozess zurück gelangen. Auch würden aus Fahrzeugen ausgebaute Altteile strukturiert aus dem Markt zurückgenommen, identifiziert, sortiert und aufbereitet.
Einen beachtenswerten Aspekt der Rohstoffsicherheit beleuchtet Christophe Koenig, Vice President des Kupferkonzerns Aurubis: „Das Wichtigste für ein Unternehmen, um die Versorgung mit den von ihm benötigten Rohstoffen zu sichern, ist seine eigene Reputation.“ Wer ein zuverlässiges Geschäftsgebaren habe sowie eine hohe Fach- und Problemlösungskompetenz besitze, werde als seriöser Geschäftspartner von Rohstofflieferanten wahrgenommen.
Der Flaschenhals sind die Förderländer
Dazu passt die Erkenntnis von Steffen Voss, Global Business Unit Manager bei Heraeus: „Die Industrieunternehmen benötigen eine gut durchdachte Einkaufsstrategie.“ Dabei sei es in der globalisierten Welt von besonderer Bedeutung, die Zulieferer und vor allem auch die primäre Herkunft der Rohstoffe zu kennen. Bei Edelmetallen – für Heraeus von zentraler Bedeutung – bestehe bezüglich der Herkunft ein gewisses Risiko, dem unter anderem durch Auditierung der Zulieferer entgegenzuwirken sei.
Die Abhängigkeit von einigen wenigen Förderländern kann Hightech-Rohstoffe verknappen, obwohl sie physisch verfügbar sind. Stefan Mair, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, nennt ein Beispiel: „Der Abbau von Kobalt, das Unternehmen etwa für Lithium-Ionen-Akkus benötigen, erfolgt derzeit zu fast 60 % in der Demokratischen Republik Kongo.“ Das Land erfülle aber nicht die hohen europäischen Sozial-, Umwelt-, Menschenrechts- und Governance-Standards. Die Unternehmen seien deshalb auch auf die Politik angewiesen, um Rohstoffe wie Kobalt verantwortungsvoll beziehen zu können.
* Ulrich Schamari ist freier Journalist aus 60320 Frankfurt am Main
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