Ohne Hertz, mit Verstand! Plus und Minus auf dem Weg in die „hertzlose“ Stromzukunft

Von Peter Königsreuther

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Edison propagierte Gleichstrom, Westinghouse und Tesla Wechselstrom. Dabei setzte sich die Wechselspannung durch. Viel spricht heute für die Gleichspannung, doch sind auch noch Hürden zu meistern.

Was beim Schweißen gar nicht effektiv und stabil genug sein kann – der Lichtbogen – ist beim Schaltvorgängen in einem Gleichstromnetzt brandgefährlich. Wie man das Weiterfließen des Gleichstroms bei einer Schalterbetätigung sicher vermeidet, ist ein aktuelles Forschungsthema.
Was beim Schweißen gar nicht effektiv und stabil genug sein kann – der Lichtbogen – ist beim Schaltvorgängen in einem Gleichstromnetzt brandgefährlich. Wie man das Weiterfließen des Gleichstroms bei einer Schalterbetätigung sicher vermeidet, ist ein aktuelles Forschungsthema.
(Bild: Fronius)

Viele Geräte in Haushalt und Industrie werden mit Gleichstrom betrieben. Was liegt also näher, als die Verluste, die die Umwandlung von Wechsel- in Gleichstrom heute mit sich bringt, von vorneherein zu vermeiden? Man rechnet übrigens mit gut 30 % Energieeinsparung. Doch das ist nur ein Pluspunkt. Gleichstrom lässt sich über hunderte von Kilometern verlustfrei transportieren! Bei Wechselstrom sei bei 300 km Schluss.

Ein Riesenvorteil, wenn es darum geht Offshore-Windkraftenergie ins Landesinnere zu bringen. Davon profitieren auch die Fabriken der Zukunft, wenn sie direkt mit Gleichstrom versorgt werden. Und Betriebe, die eine Solaranlage haben, könnten die gewonnene Energie speichern und für ihre Gleichstrom-Betriebsmittel und -anlagen nutzen.

Was viele auch nicht wissen, ist, dass die Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen stärkeren Schwankungen unterliegt, die vor allem wetterbedingt sind. Dieser sogenannte „Flatterstrom“ kann in einem Gleichstromnetz viel leichter und sicherer ausgeglichen werden, heißt es. Momentan jedenfalls, müssten die Netzbetreiber zig mal öfter eingreifen, damit alles stabil bleibe, als noch vor 20 Jahren.

Jetzt stellt sich die Frage, ob der Umschwung so leicht machbar ist, oder was noch zu tun ist, um das umfassend zu erreichen. Ein Aspekt für eine Zukunft mit Gleichstrom ist auch, dass die meisten Antriebe, die in Unternehmen genutzt werden, mit Frequenzumrichtern drehzahlgeregelt werden. Diese arbeiten aber auch mit Gleichstrom. Damit letzterer zur Verfügung stehen kann, ist also zunächst die aktuelle 230-V-Netzwechselspannung, die mit einer Frequenz von 50 Hz „pulsiert“, gleichzurichten. Versorgt man den Frequenzumrichter aber direkt mit Gleichspannung, lassen sich die sonst auftretenden Umwandlungsverluste verhindern. Möglich werde dann auch die Rückspeisung von Bremsenergie ins Netz. Hinzu kommt, dass Gleichrichterstufen eine starke Belastung durch Oberschwingungen auf das Wechselstromnetz bewirken, was teure Filtermaßnahmen nötig macht. Beim Gleichstromnetz kann man sich das sparen, so die Experten.

Nachholbedarf von Kabel bis Maschine

Ein weiterer Vorteil einer voll auf Gleichstrom basierenden Fabrik ist, dass alle elektrischen Anlagen in einem smarten Netzwerk gekoppelt werden können. So steigt die Verfügbarkeit und Qualität der elektrischen Versorgung vor Ort – die Produktion werde insgesamt zuverlässiger. Das kann man mithilfe autarker Regelungsclustern erreichen, die es ermöglichen, die Energiespeicherung, -erzeugung und den -verbrauch direkt in der Fabrik auszugleichen und zu koordinieren. Das gilt außerdem als wichtige Chance mit Blick auf eine umfassende Indus-
trie-4.0-Landschaft. Neubauten werden es allerdings einfacher haben als bestehende Betriebe, meinen viele Forscher.

Ideen, die diese Versorgungswende möglich machen sollen, betreffen momentan die Betriebstechnik an sich. Dabei hat auch die Kabelindustrie noch viel zu lernen, heißt es. Denn die Effekte, die bei Gleichspannung auftreten, sind für auf Wechselspannung ausgelegte Kabel oft schädlich. Denn über dem Isoliermaterial baut sich ein elektrisches Feld auf, ein Problem, das vor allem bei hoher Gleichspannung schlecht ist. Teure Spezialisolierungen sind nötig, die, so ist man sicher, vom Anwendungsvorteil des Gleichstroms wettgemacht werden.

Das Projekt „DC-Industrie 2“ soll dabei helfen, die bisher gewonnenen Erkenntnisse in die Produktion zu bringen. Die Forschung spielt auch in den Maschinenbau hinein, denn alle Betriebsmittel müssen letztendlich schon wegen des angestrebten Netzwerks optimal zusammenspielen können, also quasi gleichstromtauglich gemacht werden. Weiter entwickelt werden sowohl die Installations- als auch die Geräte- und Schutztechnik, heißt es. Für letztere gelten im Übrigen die gleichen Regeln im Hinblick auf den Personenschutz (etwa DIN VDE 0105-100 oder IEC 60364). Und bezüglich der Netzrückwirkungen und EMV (Elektromagnetische Verträglichkeit) gibt es auch Regeln, die eingehalten werden müssen. Testanlagen, wie sie hier in der Titelstory behandelt werden, haben bewiesen, dass das funktioniert. Auch die Weiterbildung von Elektrofachkräften in Sachen Umgang mit einem Gleichstrom-Netzwerk ist wichtig, um Vorurteile auszuräumen, und damit das Personal auf die Eigenheiten eines solchen Netzes mit bidirektionalen Energieflüssen und vielen einspeisenden Geräten vorbereitet ist.

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Auch Gleichstrom hat Nachteile

Doch obwohl Gleichstrom über lange Strecken transportiert werden könne, sei auch er nicht ideal. Denn er lässt sich nicht per Transformator einfach auf auch benötigte hohe Spannungen bringen. Dazu braucht es einen sogenannten Konverter. Das ist quasi ein Netzteil, allerdings ein ziemlich großes! Das Konvertieren verursacht dann doch Verluste. Auch beim Schalten gibt es bei Gleichstrom einen Effekt: betätigt man den Schalter, fließt der Strom weiter! Er hat keinen Nulldurchgang, durch den der Lichtbogen erlischt. Das zerstört des Schalter und kann Brände verursachen. Nur spezielle Maßnahmen führen zu einem Verlöschen des Schaltlichtbogens. Deshalb entwickelt man aktuell auch Schaltkonzepte für Gleichspannungsnetze von Nieder- bis Hochspannung.

Dennoch scheint es, dass Gleichstrom mehr Vor- als Nachteile mit sich bringen wird. Die Technik sei prinzipiell da, es mangelt vor allem an auf den jeweiligen Einsatzfall hin angepasste und optimierte Geräte, die, da ist man sich sicher, aber peu á peu auf den Plan treten. MM

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