Wälzlager Warum die Bedeutung von Lagerungen zunehmen wird
Die Wälzlagerindustrie muss – wie viele andere auch – einen Wandel hin zur Digitalisierung und Elektrifizierung durchleben. Das Wälzlager an sich wird sich verändern, die Hersteller ebenso. Vertreter von SKF und Schaeffler sprechen über ihre Sicht auf diese Veränderungen.
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Im Vorfeld der Bearing World Conference 2018, des internationalen Treffens der Wälzlagerspezialisten, standen die beiden Sponsoren SKF und Schaeffler zu einem Interview zur Verfügung. Dr. Arbogast Grunau, Leiter Zentrale Entwicklung bei Schaeffler, und Bernd Stephan, Präsident Automotive & Aerospace bei SKF, geben hier Einblick in ihre Forschungsschwerpunkte und zeigen, wo die Herausforderungen in der zukünftigen Wälzlagerentwicklung liegen.
Wo liegen aktuell Ihre Schwerpunkte in der Forschung und Entwicklung?
Grunau: Wir wollen die „Mobilität für morgen“ aktiv mitgestalten und haben für uns deshalb vier Fokusfelder definiert: „umweltfreundliche Antriebe“, „urbane Mobilität“, „interurbane Mobilität“ und „Energiekette“. Wir forschen an mehreren Themenfeldern, wie Werkstoffe, Oberflächentechnik und an der Simulation, wie sich komplette Systeme verhalten. Immer wichtiger wird zudem die Beschichtung. Mit unserem Know-how in diesem Bereich können wir unseren Kunden verschiedene Arten von Beschichtungen anbieten – beispielsweise solche, die die Reibung oder die Anfälligkeit für White Etching Cracks (WEC) minimieren. Außerdem ist die Rolle der Wälzlager als Industrie-4.0-Komponente und für die Elektromobilität gerade ein Hauptthema in der aktuellen Forschung.
Stephan: Wir verfolgen gerade den Wandel im Antriebsstrang der Fahrzeuge vom klassischen Verbrennungsmotor zu komplizierten Hybridantrieben und reinen Elektroantrieben. Dafür werden neue Wälzlager mit anderen Eigenschaften benötigt. Wir wollen als Unternehmen für diese Entwicklungen der richtige Partner sein und die entsprechenden Lager und Dichtungen anbieten. Dazu gehören die neuen Hybridlager mit Keramikwälzkörpern, denn die hochdrehenden, elektrischen Antriebe der Zukunft mit ihrer hohen Energiedichte werden solche neuen Komponenten benötigen. Bei SKF können wir für diese Lager auch die Lebensdauer mit unserem General Bearing Life Model (GBLM) berechnen.
Welchen Einfluss hat Industrie 4.0 auf die Weiterentwicklung Ihrer Lager?
Stephan: Für SKF bedeutet Industrie 4.0 zunächst komplette Digitalisierung und Automatisierung des Product Lifecycle Managements (PLM) – von der Ideenphase über die 3D-Modelle der Produkte und Prozesse mit dem digitalen Zwilling bis hin zur Simulation und Prüfung, den Herstellungsprozessen, dem Qualitätsmanagement und der Logistik. Letztendlich gehört auch die Leistungsfähigkeit während des Einsatzes sowie Service, Instandhaltung und am Ende das Recycling dazu. Deshalb müssen wir alles digitalisieren, was wir tun, und alle Systeme automatisiert miteinander verknüpfen, um von Big Data und der Datenanalyse zu profitieren.
Grunau: Wir bei Schaeffler sehen unsere mechatronischen, mit Sensorik versehenen Produkte als Enabler für Industrie 4.0 und digitale Services. Denn insbesondere die Lager bestimmen zu einem Großteil die Performance einer Anwendung. Deshalb eignen sie sich perfekt als Datensammler, um Prozesse und Maschinen überwachen zu können. Schaeffler bietet aus diesem Grund Hardware, Software und IT-Infrastrukturen an, die alle Stadien umfassen, um digitalen Mehrwert zu schaffen.
Wo liegen die Herausforderungen in der Antriebstechnik für zukünftige Wälzlager?
Stephan: Eine hohe Leistungsfähigkeit sowie gleichzeitig die Zuverlässigkeit der Wälzlager waren immer Herausforderungen bei neuen und anspruchsvollen Anwendungen. Bisher haben wir bei SKF immer Wege gefunden, die Lager auf diese neuen Anforderungen hin abzustimmen. Die Wälzlager haben sich im Laufe der letzten 100 Jahre ohnehin gewaltig verbessert und ich sehe noch lange kein Ende dieser Entwicklung. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs in allen Industriezweigen wird Wälzlager der nächsten Generation erfordern. Und wir sind sicher, dass wir diese Anforderungen erfüllen können.
Grunau: In der Vergangenheit hat man Wälzlager auf Basis ihrer statischen oder dynamischen Tragfähigkeit bewertet, während man sie heutzutage anhand des Reibmoments unterscheidet. In Zukunft müssen Wälzlager zwar über hohe Tragfähigkeit verfügen, aber geringes Reibmoment und geringe Geräuschentwicklung werden die wirklichen Leistungsindikatoren sein. Auch die Ausstattung der Lager mit Zusatzfunktionen, wie etwa zur Datengewinnung, wird immer wichtiger.
Elektroautos werden viel weniger Wälzlager und auch keine Kurbelwellenlager mehr brauchen. Wie wird sich diese Entwicklung auf die Hersteller der Lager für die Automobilindustrie auswirken?
Grunau: Ja, diese Trends sind vorhanden und aufgrund der technologischen Veränderungen unausweichlich. Dies wird eine langfristige Veränderung sein. Schaeffler investiert stark in die Mobilität von morgen und erweitert das Produktportfolio entsprechend den Anforderungen für die Elektromobilität. Auch wenn die Anzahl an Lagern sinken könnte, bietet die technologische Stärke von Schaeffler Möglichkeiten, das Geschäft dennoch auszuweiten.
Stephan: Hybridfahrzeuge brauchen allerdings noch mehr Wälzlager als herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Batteriebetriebene Elektrofahrzeuge hingegen benötigen zwar keine Gleitlager, die bisher im Verbrennungsmotor eingesetzt werden, doch sind dafür Wälzlager für die elektrischen Fahrmotoren und für die Getriebe nötig. Wie ich schon erklärt habe, benötigen diese Lager auch neue technische Eigenschaften. Wir sehen für unser Wälzlagergeschäft deshalb kein Problem. Die Entwicklung der neuen Antriebsstränge ist sicherlich eine größere Herausforderung für Unternehmen, die auf Verbrennungsmotoren spezialisiert sind.
Wird dann der Anteil an Keramiklagern in Elektrofahrzeugen steigen?
Stephan: Wir sehen schon, dass die Nachfrage nach Hybridlagern in elektrischen Antriebssträngen steigen wird. Solche Lager sind gegen elektrischen Stromfluss isoliert und können mit weniger Schmierung wesentlich höhere Drehzahlen erreichen. Heute haben wir bereits eine Vielzahl von Anwendungen für Elektromotoren und Generatoren in verschiedenen Branchen, die Hochleistungs-Hybridlager verwenden. Mit dem zu erwartenden Anstieg der Motordrehzahlen wird die Hybridlagertechnik noch viel wichtiger.
Grunau: Die Bedeutung der Isolierung wird zunehmen, weil Lager in der Regel nicht dafür ausgelegt sind, um Strom zu leiten, Störströme aufgrund des verstärkten Einsatzes mechatronischer Komponenten aber häufiger auftreten können. Keramikkugeln sind eine gängige Methode, um Schäden durch elektrischen Strom in Wälzlagern zu vermeiden. Darüber hinaus ist die Isolierung der Ringe gut etabliert; einige andere Lösungen sind Bereiche unserer Forschung.
Elektroautos enthalten weniger Kleinteile, vor allem Präzisionsteile. Bedeutet dies, dass die Komponentenhersteller weniger Schleifoperationen und Schleifspindeln mit Hochgeschwindigkeits-Präzisionslagern einsetzen werden?
Grunau: Ja, tatsächlich weisen reine Elektroautos eine geringere Anzahl von sogenannten Hochpräzisionsbauteilen auf. Jedoch werden die Drehzahlen von Motoren und Getrieben steigen und gleichzeitig werden die Anforderungen an Reibungs- und Geräuschreduzierung zunehmen, was üblicherweise wieder eine erhöhte Präzision verlangt.
Stephan: Wir sehen es genauso, dass reine Elektrofahrzeuge weniger mechanische Teile haben. Wir sehen aber nicht, dass die Teile im elektrischen Antriebsstrang weniger präzise sind. Da der elektrische Antriebsstrang auch bei hohen Motordrehzahlen sehr geräuscharm sein muss, müssen die Komponenten bei hoher Präzision zudem leise sein. Der geringere Bedarf an mechanischen Teilen pro Fahrzeug wirkt sich zwar auf die Industrie aus, andererseits werden aber zugleich neue Komponenten benötigt.
Was werden Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Wälzlagerindustrie in der Zukunft sein?
Grunau: Da Lager fast überall dort benötigt werden, wo Bewegung stattfindet, wird sich deren Anwendungsbereich erweitern. Eine der größten Herausforderungen wird deshalb darin bestehen, dieses breite Anwendungsspektrum erfolgreich und konkurrenzfähig zu bewältigen. In vielen Anwendungen ist das Lager der Ort, an dem alle Informationen wie Geschwindigkeit, Belastung und Temperatur des Geräts verfügbar sind. Deshalb wird der zusätzliche Einsatzzweck von Lagern darin bestehen, Informationen zu generieren. Das Lager der Zukunft ist mehr als nur ein Lager, denn es wird auch zu einem integrierten Sensor. Daher wird die Bedeutung von Wälzlagern in Zukunft mit der Digitalisierung und Industrie 4.0 noch weiter zunehmen.
Stephan: Die Wälzlagerindustrie muss sich weiterhin sehr genau an der Marktnachfrage orientieren. Die neuen Anforderungen werden eine neue Lagertechnik hervorbringen. Außerdem wird die rotierende Welle mit Wälzlagern in allen Anwendungsbereichen eine große Zukunft haben. Deshalb muss die Wälzlagerindustrie ihre Forschung fortsetzen, um die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von Wälzlagern auf ein noch höheres Niveau zu bringen. Auch die Digitalisierung von Lagern mit Sensoren und Zustandsüberwachung sowie die lückenlose Rückverfolgbarkeit werden für einen störungsfreien Betrieb eine immer wichtigere Rolle spielen.
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