Überwachungssystem Zustandsmonitoring für angetriebene Werkzeuge

Von Christian Brecher, Stephan Neus und Daniel Christoffers

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Aufgrund flexibler Fertigungsprozesse gewinnen angetriebene Werkzeuge zunehmend an Bedeutung. Die Beurteilung ihres Zustands während des Betriebs stellt eine große Herausforderung dar. In Zusammenarbeit mit der Industrie wird am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen im Rahmen eines öffentlich geförderten Projekts an einem Überwachungssystem basierend auf mikroelektromechanischen Sensoren gearbeitet.

Bild 1: Gerades und winkliges angetriebenes Werkzeug.
Bild 1: Gerades und winkliges angetriebenes Werkzeug.
(Bild: WTO Werkzeug-Einrichtungen GmbH)

Um Fertigungsprozesse effizient umsetzen zu können, kommen oft angetriebene Werkzeuge (AGW) zum Einsatz. Mit ihnen lassen sich unterschiedliche Bearbeitungsvorgänge durchführen ohne dabei die Maschinen wechseln zu müssen. Mit bis zu 16 Werkzeughaltern pro Revolver und drei Revolvern pro Maschine, kommen die AGW bei variierenden und meist unbekannten Beanspruchungen unterschiedlich oft zum Einsatz. Die Lebensdauer eines AGW kann daher zwischen wenigen Monaten und wenigen Jahren schwanken, wobei letztlich der Ausfall der Lager durch Verschleiß am häufigsten auftritt (Bild 2 A).

Die Spindel wird meist durch Spindel- oder Kegelrollenlager gelagert. Dabei sind die Abmaße des im AGW eingesetzten Welle-Lager-Systems im Vergleich zu Frässpindeln geringer, weshalb eine Übertragbarkeit des Betriebs- und Ausfallverhaltens nicht möglich ist. Daher müssen für diesen Werkzeugtyp neue Erfahrungswerte geschaffen werden. Die Zuverlässigkeit und Präzision eines AGW ist notwendig, um die Qualität des zu bearbeiteten Bauteils zu gewährleisten.

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Da das Bearbeitungsergebnis, wie etwa in Bild 2 B dargestellt, erst nach der Fertigung eines Bauteils beurteilt werden kann, ist die Produktion von Ausschuss unvermeidbar. Um diesem Problem entgegenzuwirken, werden Werkzeuge nach Ablauf ihrer Soll-Betriebsstunden und auf Basis der Einschätzung von Fachpersonal ausgetauscht. Dieses Vorgehen ist jedoch ungünstig, da auch Werkzeuge im Gutzustand überarbeitet werden und so Ressourcen verloren gehen. Als Ansatz zur Vermeidung dieser Problematik müssen alle AGW flächendeckend sensorisch überwacht werden. Aufgrund der bereits genannten Vielzahl von AGW in einer Maschine sind schnell unwirtschaftliche Zustände erreicht, wenn jedes dieser Werkzeuge mit einem Hochpräzisionssensor ausgestattet werden würde. Daher sind insbesondere im sensorischen Umfeld günstige Ansätze nötig.

Im Rahmen eines öffentlich geförderten Projekts wird am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen in Zusammenarbeit mit der Firma WTO Werkzeug-Einrichtungen GmbH an einem System gearbeitet, das den Verschleißzustand des AGW anhand von Schwingungssignalen charakterisiert. Dies soll helfen einen drohenden Ausfall frühzeitig zu erkennen und Wartungsintervalle im laufenden Produktionsprozess kostenoptimiert zu berücksichtigen. Da in der Praxis häufig eine Vielzahl von AGW überwacht werden, sollen kostengünstige mikroelektromechanische Sensoren (MEMS) zum Einsatz kommen. Durch eine Minimierung des Produktionsstillstands und eine hohe Ausschöpfung der Gebrauchsdauer des Werkzeugs ist es möglich die Produktivität der Fertigung langfristig zu steigern.

Kenngrößen zur Zustandscharakterisierung

Die Bestimmung des Werkzeugzustands darf den Produktionsablauf im Idealfall nicht stören. Daher werden Messgrößen und -zyklen entwickelt, die sich ohne zusätzlichen Zeitinvest einbinden lassen (etwa am Ende jeder Schicht). Zwar ist bekannt, dass mit zunehmendem Verschleiß der Lager das Lagerspiel ansteigt, jedoch ist diese Messgröße im laufenden Betrieb nicht ohne größeren Aufwand erfassbar. Aus diesem Grund muss nach Sekundärparametern wie Beschleunigungen oder Temperaturen gesucht werden, die den Zustand des Werkzeugs einfach messbar machen. Jede zusätzlich zu integrierende Sensorik stellt jedoch zum einen eine potentielle Störquelle und zum anderen einen Kostenfaktor dar. Darüber hinaus hat die Temperatur als Zustandsgröße ein langsames Antwortverhalten, sodass es beim Erreichen von Grenzwerten bereits zum Lagerausfall gekommen sein kann.

Für die weitere Planung der Produktionsprozesse abhängig vom Zustand des AGW soll dieser möglichst einfach in Form eines Ampelsystems beschrieben werden (Bild 3). Entscheidend dabei ist wie früh Verschleißerscheinungen detektiert werden, sodass notwendige Wartungsaktionen vorausschauend planbar sind.

Da je Werkzeugmaschine mehrere AGW überwacht werden, wird der Gesamtzustand der Maschine durch das AGW mit dem schlechtesten Zustand bestimmt. Fertigungsprozesse, die Hochpräzision erfordern, werden somit auf Maschinen im A-Zustand umgeleitet. Bei gleichzeitig möglichst hoher Ausnutzung der Restlebensdauer der Werkzeuge werden somit die Fertigungsprozesse langfristig optimiert.

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Ansatz der Messmethodik

Die Integration der Sensoren stellt eine große Herausforderung dar. Zum einen müssen diese möglichst nah an den kritischen Lagern positioniert werden, zum anderen darf die Struktur infolge der eingebrachten Taschen nicht zu sehr geschwächt werden. Ferner müssen regelmäßige Kalibrierungen der Sensoren durchgeführt werden, um die Verlässlichkeit der Messergebnisse zu gewährleisten. Das Bild 4 stellt den schematischen Werkzeugaufbau dar.

Grundsätzlich wurden bereits Untersuchungen unternommen, die MEMS-Sensoren zur Beurteilung von rotierenden Maschinenkomponenten forcierten. Jedoch wurde dies nie im Kontext der angetriebenen Werkzeuge getätigt, auch die Entwicklung einer Verschleißanzeige bleibt aus [4; 5; 6; 8]. Aufgrund des schlechteren Signal-Rausch-Verhältnisses und der geringen Signalenergie der Betriebsschwingungen eines Wälzlagers muss auf spezifische Mess- und Auswerteverfahren zurückgegriffen werden. Der Sensor wird deshalb so ausgewählt, dass seine Eigenfrequenz sich möglichst mit typischen Lagerfrequenzen überschneidet, sodass das schwache Sensorsignal verstärkt wird (Bild 5 rechts). Zur Auswertung müssen die Prozesskräfte und kinematischen Größen im Wälzkontakt bekannt sein. Mit bekannten Prozesskräften und Drehzahlen werden in einem Simulationsmodell des Spindel-Lager-Systems die Lasten im Lager berechnet. Die Schwingungen im Betrieb werden durch Unwuchten der rotierenden Komponenten, Mangelschmierung und Lagerfrequenzen hervorgerufen. Während Unwuchten im Betrieb unabhängig vom Verschleiß sind und es bei Mangelschmierung zu einer breitbandigen Anregung kommt, ist von einem Verschleißeinfluss auf die Lagerfrequenzen auszugehen. Mithilfe von Bild 4 rechts ergibt sich der linke Teil von Bild 5.

Durch die Erfassung der Beschleunigungswerte und den Abgleich mit Lagerfrequenzen wird die dynamische Anregung der Spindel im Betrieb analysiert. Üblicherweise werden dazu piezoelektrische Sensoren verwendet. Im Gegensatz zu den MEMS-Sensoren zeichnen sich diese durch ein gutes Signal-Rausch-Verhältnis aus, wobei jedoch ein Signalverstärker benötigt wird. Im Gegensatz dazu ist der MEMS-Sensor kostengünstiger und eine vollständig integrierte Einheit, die keinen zusätzlichen Verstärker benötigt. Des Weiteren spricht die geringe Baugröße für den Einsatz der MEMS-Sensoren, wodurch Integration vereinfacht wird.

Auswertemethoden beschleunigungsbasierter Messdaten

Zur Überwachung von Lagersystemen sind diverse Kennwerte nutzbar, die entweder im Zeit- oder auch Frequenzbereich gebildet werden. Einige dieser Kennwerte sind bereits normativ aufgearbeitet worden, sodass diese im Überwachungsbereich besonders häufig Anwendung finden [7]. Beispiele für diese Kennwerte sind etwa die Summenschwingung der Schwinggeschwindigkeit (vRMS), der Maximalwert der Beschleunigung, der Crest-/Kurtosis-Faktor aber auch die frequenzselektive Auswertung. Eine differenziertere Auswertung ist über die sogenannte Bearing Condition Unit (BCU) möglich [3]. Mit diesem Kennwert können bei Kenntnis der Lagereigenfrequenzen stoßförmige Anregungen bedingt durch Verschleißerscheinungen im Lager verstärkt dargestellt werden, sodass diese eindeutig vom Signalrauschen differenzierbar sind. Üblicherweise werden dazu piezoelektrische Sensoren verwendet, welche einerseits genauer aber auch gleichzeitig teurer sind.

In den meisten kommerziellen Überwachungssystemen erfolgt die Beurteilung des Lagerzustands anhand der Amplitudenüberschreitung und der Auswertung der kinematischen Wälzlagerfrequenzen. Zur Bewertung werden in der Regel Amplitudenerhöhungen in Prüfstandsversuchen mit unbeschädigten Lagern bei vergleichbaren Betriebsbedingungen herangezogen, wobei unter anderem eine Korrelation von Kennwerten und Schadzustand hergestellt werden kann [2]. Die Untersuchungen in [2] zeigen allerdings auch, dass einige der in [7] aufgeführten Kennwerte gar nicht oder nur eingeschränkt zur Zustandsüberwachung schadhafter Lager nutzbar sind. Im vorliegenden Projekt muss daher die Eignung dieser Parameter geprüft und ggf. eine eigene Zustandsgröße abgeleitet werden.

Herausforderungen

Grundsätzlich gibt es noch keine Erfahrung in der schwingungsbasierten Zustandsanalyse von Wälzlagern in AGW. Aufgrund der kompakten Bauweise stellt die Integration der Sensorik in das AGW ohne Schwächung der Bauteilstruktur und mit Berücksichtigung der Energieversorgung eine große Herausforderung dar.

Die Auswahl eines reproduzierbaren Verschleißparameters, der sich für die schnelle Auswertung im laufenden Betrieb eignet, ist eine wichtige Aufgabe. Insbesondere die Anwendbarkeit der kostengünstigen MEMS-Sensoren ist dabei entscheidend für die Umsetzung in der Praxis. Der Fokus liegt dabei auf der Detektion der energiearmen Signalanteile bei den kinematischen Wälzlagerfrequenzen, welche durch das geringe
Signal-Rausch-Verhältnis der MEMS-Sensoren schwierig zu erfassen sind.

Zur Beurteilung der Messsignale sollen am Prüfstand gewonnene Ergebnisse herangezogen und anschließend an einer Forschungsmaschine auf ihre Reproduzierbarkeit hin überprüft werden. Ein steter Vergleich zwischen MEMS- und Piezosensoren ermöglicht eine fortlaufende Aussage zu Stärken und Schwächen der gewählten Ansätze. Technisch herausfordernd ist die Frage, inwieweit Verschleiß und die gewonnenen Kennwerte korrelieren und ob diese eindeutig reproduzierbar sind. Auch die Frage nach der mechanischen Stabilität der Werkzeuge nach Implementierung der Sensorik ist technisch herausfordernd.

Literaturverzeichnis

[1] Brecher, C.; Weck, M.: Werkzeugmaschinen Fertigungssysteme 2. Konstruktion, Berechnung und messtechnische Beurteilung. 9th ed. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, 2017.

[2] Brecher, C.; Neus, S.; Christoffers, D.; Eckel, H.-M.: Untersuchung der Detektierbarkeit von realen Spindellagerschäden mit Methoden nach VDI 3832 aus Feldrückläufern. In: Forschung im Ingenieurwesen. 85. Jg., 2021, Nr. 1, S. 57–65.

[3] Brüel&Kjaer: Bearing condition overalls. Seeheim, 2011.

[4] Deckers, J.: Entwicklung einer Low-Cost-Körperschallsensorik zur Überwachung des Verschleißverhaltens von wälz- und gleitgelagerten Kreiselpumpen kleiner Leistung. Zugl.: Duisburg, Univ., Diss., 2001. Als Ms. gedr. Düsseldorf: VDI-Verl., 2001.

[5] Jiménez, S.; Cole, M. O.T.; Keogh, P. S.: Vibration sensing in smart machine rotors using internal MEMS accelerometers. In: Journal of Sound and Vibration. 377. Jg., 2016, S. 58–75.

[6] Son, J.-D.; Ahn, B.-H.; Ha, J.-M.; Choi, B.-K.: An availability of MEMS-based accelerometers and current sensors in machinery fault diagnosis. In: Measurement. 94. Jg., 2016, S. 680–691.

[7] Richtlinie. VDI 3832 (April, 2013). Körperschallmessungen zur Zustandsbeurteilung von Wälzlagern in Maschinen und Anlagen.

[8] Vollmer, J.; Neumann, T.: Integration von Low-Cost Schwingungsmesssystemen in Maschinen und Anlagen zur permanenten Schwingungsüberwachung: VDI Schwingungstechnik: Fachtagung Schwingungsanalyse und Identifikation. Düsseldorf: VDI-Verlag, 2010, S. 205–212.

* Prof. Dr.-Ing. Christian Brecher ist Universitätsprofessor für Werkzeugmaschinen, Dipl.-Ing. Stephan Neus ist Oberingenieur der Abteilung Maschinentechnik und Daniel Christoffers, M. Eng., ist Leiter der Forschungsgruppe Auslegung und Untersuchung von Maschinenkomponenten, alle am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen in 52074 Aachen,Tel. +49 241 8027442, d.christoffers@wzl.rwth-aachen.de

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