Digital Twin Digitaler Zwilling in der Fertigung: Es fehlt die Strategie

Redakteur: Juliana Pfeiffer |

Das Fraunhofer IPK und MSG Systems haben Digitale Zwillinge in der Fertigungsindustrie untersucht. Eine Erkenntnis: Es existieren zwar Konzepte für den Digitalen Zwilling, aber keine durchgängige Strategie.

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Das Digital Twin Readiness Assessment zeigt: Die Mehrheit der Unternehmen sind beim Thema Digitaler Zwilling noch in der Konzeptionsphase.
Das Digital Twin Readiness Assessment zeigt: Die Mehrheit der Unternehmen sind beim Thema Digitaler Zwilling noch in der Konzeptionsphase.
(Bild: ©Monopoly919 - stock.adobe.com)

Mit der Studie zum Digitalen Zwilling wollten das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK und die MSG Systems AG eine neuartige und innovative Methode vorstellen, um den Reifegrad eines Unternehmens in Bezug auf folgende Dimensionen zu bewerten:

  • Verständnis und Einsatz
  • Zielbild und Konzept
  • Umsetzung

Studie sucht Antworten zum Digitalen Zwilling

Im Rahmen der Studie wurden insgesamt 26 Unternehmen aus der fertigenden Industrie in der DACH-Region interviewt. Von den befragten Unternehmen sind 42 % Zulieferer aus dem Mobilitätsbereich. Fast 60 % der Unternehmen haben mehr als 50.000 Mitarbeitende. Als Aufgabenbereich geben 35 % der Befragten an, im IT-Bereich zu arbeiten und 27% mit der Produktentwicklung zu beschäftigen.

Die Studie untersuchte, wie weit die fertigende Industrie in der DACH-Region auf dem Weg zum Einsatz Digitaler Zwillinge ist und welche Anwendungsfälle mit welchen Zielen verfolgt werden. Folgende Kernfragen suchten nach Antworten:

  • Wie beeinflusst der Digitale Zwilling Geschäftsmodelle?
  • Welcher Mehrwert soll durch Digitale Zwillinge geschaffen werden?
  • Wie sehen aktuelle Konzepte für den Digitalen Zwilling aus?
  • Welche Maßnahmen sind für den Digitalen Zwilling notwendig?
  • Welche Fähigkeiten und Skills werden für den Digitalen Zwilling benötigt?

Unternehmensübergreifende Kollaboration nötig

Aus der Studie ergeben sich die folgenden, zentralen Erkenntnisse:

  • Digitale Zwillinge fungieren, den Konzepten zufolge, meist als datenbereitstellende Systeme oder werden zur Absicherung und Fehleranalyse verwendet.
  • Das Angebot automatisierter Mehrwertdienste und die Ausgestaltung als autonome oder adaptive Systeme werden bislang in wenigen Digitalen Zwillingskonzepten berücksichtigt. Erst durch die unternehmensübergreifende Kollaboration und eine Vernetzung der Digitalen Zwillinge entfaltet sich das ganze Potenzial des Ansatzes. Hierfür wird eine Standardisierung der Plattformen und Kommunikationsschnittstellen erforderlich.
  • Die Einführung Digitaler Zwillinge kann erst gelingen, wenn die Unternehmen in allen Bereichen, vom „Verständnis und Einsatz“ über die „Zielbild und Konzepte“ bis in die „Umsetzung“, eine hohe Reife erlangt haben.
  • Darüber hinaus wird in der zukünftigen Organisation eine erhöhte Agilität und gesamtheitliches Denken von den Mitarbeitenden verlangt.
  • Bemerkenswert ist die Verteilung der Verantwortlichkeiten, die sich in den Interviews zeigt: Die IT sieht die Verantwortung bei den Entwicklungsabteilungen, die Entwickelnden hingegen bei der IT.
Erst durch die unternehmensübergreifende Kollaboration und eine Vernetzung der Digitalen Zwillinge entfaltet sich das ganze Potenzial des Ansatzes.

Prof. Dr.-Ing. Rainer Stark, Leiter des Geschäftsfeldes Virtuelle Produktentstehung am Fraunhofer IPK

Nur 8 % setzten ihren Digitalen Zwilling um

Dabei zeigte die Auswertung aller Interviews, dass zwar ein breites Verständnis von Digitalen Zwillingen existiert, deren Potenzial aber bei Weitem noch nicht gehoben wird. Demnach haben zwar 85 % der befragten Unternehmen bereits Konzepte für den Digitalen Zwilling entwickelt. Jedoch verfügen nur 54 % der Befragten eine durchgängige Digitale Zwillingsstrategie. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem Ergebnis wider, dass 20 % der Befragten keine einheitliche Definition zum Digitalen Zwilling im Unternehmen etabliert haben. Die Definition beinhaltet bei 46 % der Befragten einen Digitalen Schatten. Über alle Befragten hinweg setzten nur 8 % ihren Digitalen Zwilling bereits vollumfänglich ein, aber schon mehr als ein Drittel haben die Umsetzung ihres Digitalen Zwillings gestartet.

Erhöhte Agilität und ein gesamtheitliches Denken

Welche Maßnahmen notwendig und bereits durchgeführt wurden, um Prozesse und Organisationen, IT-Systeme sowie die notwendigen Daten- und Informationsmodelle zu gestalten, wurden ebenfalls in der Studie erfasst. Um Digitale Zwillinge erfolgreich zu implementieren und zu nutzen werde laut Studienergebnis von den Unternehmen eine erhöhte Agilität und ein gesamtheitliches Denken aller Mitarbeitenden benötigt wird.

So herrscht bei 44 % Unklarheit über die Verantwortungen bezüglich der Veränderung der Geschäfts- und Entwicklungsprozesse. Um den Weg für Digitale Zwillinge zu bereiten, gehen 85 % der Befragten davon aus, ihre Unternehmensorganisation ändern zu müssen. Die für die Digitalen Zwillinge benötigten IT-Lösungen werden von 24 % der Unternehmen intern entwickelt. Dafür benötigen 72 % der Unternehmen weitere IT-Skills. Die zur Umsetzung essenziellen Fähigkeiten sind IT-Skills, fachliche Skills, gesamtheitliches Denken und Datenanalyse-Fähigkeiten.

Konsolidierte Gesamtreife liegt bei nur 51 %

Die Einführung Digitaler Zwillinge kann erst gelingen, wenn die Unternehmen in allen Bereichen, vom Verständnis über die Konzeptentwicklung bis zu den Umsetzungsmaßnahmen, eine hohe Reife erlangt haben. Die konsolidierte Gesamtreife aller Unternehmen liegt derzeit bei nur 51 Prozent.

„Wenn die europäischen Unternehmen mit ihren Digitalen Zwillingen wettbewerbs- und zukunftsfähig sein wollen, müssen die Unternehmen ihre internen Datensilos aufbrechen, aber auch den Informationsfluss zwischen Nutzer und Zulieferer zulassen“, meint Mitherausgeber Markus Samarajiwa, Lead Business Consultant bei MSG.

So zeigt die Studie, dass Digitale Zwillinge, oder deren Einsatz, keinen Selbstzweck darstellen. Die Einführung Digitaler Zwillinge kann demnach nur gelingen, wenn in allen benannten Bereichen, vom Verständnis über die Strategien und Konzepte bis in die Umsetzung, eine hohe Reife erlangt wurde. Erst dann kann aus den Digitalen Zwillingen der angestrebte Nutzen zuverlässig generiert werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.konstruktionspraxis.de

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