Aktuatorik Extremes Beschleunigungsvermögen von Vorschubachsen durch zusätzlichen Aktor

Autor / Redakteur: Alexander Schulte, Peter Zahn, Armin Lechler und Alexander Verl / Stefanie Michel

Ein begrenztes Beschleunigungsvermögen von Vorschubachsen und eine nachgiebige Maschinenstruktur schränken die realisierbaren Beschleunigungen ein. Ein neuer Ansatz ermöglicht mithilfe eines zusätzlichen Aktors über einen mechanischen Stoß abrupte Geschwindigkeitsänderungen.

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Bild 1: Linearachse mit Zusatzaktor am Versuchsstand.
Bild 1: Linearachse mit Zusatzaktor am Versuchsstand.
(Bild: Universität Stuttgart)

Vorschubachsen erzeugen in Werkzeugmaschinen die Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück, welche für den jeweiligen Prozess benötigt wird. Die Dynamik dieser Achsen wird dabei durch die verfügbare Vorschubkraft der einzelnen Antriebe begrenzt; die Dynamik der gesamten Maschine hängt von der schwächsten beziehungsweise langsamsten Achse ab. Im Allgemeinen sind aufgrund physikalischer Grenzen nur kontinuierliche Änderungen der Geschwindigkeit möglich, wobei für viele Bearbeitungsprozesse eine konstante Bahngeschwindigkeit vorteilhaft ist. Gleichzeitig führen hohe Beschleunigungskräfte und Rucke zu einer unerwünschten Anregung der Maschinenstruktur. Die angeregten Schwingungen können den Bearbeitungsprozess negativ beeinflussen, die Genauigkeit senken oder die Regelgüte des Vorschubantriebs negativ beeinflussen.

Für Profile mit unstetigen Verläufen in Geschwindigkeit oder Beschleunigung, wie beispielsweise eine Ecke, muss daher ein Kompromiss zwischen der Bahntreue und einer konstanten Bahngeschwindigkeit gewählt werden. Ein gängiges Verfahren hierfür ist das Überschleifen, bei dem eine definierte Bahnabweichung akzeptiert wird, um die Geschwindigkeit relativ konstant halten zu können. Ist die Konturtreue wichtiger als eine konstante Geschwindigkeit, ist auch ein Anhalten in der Ecke möglich, was auch zu einer längeren Bearbeitungszeit führt.

Definierter Stoß zur gewünschten Zeit

Am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) wurde daher ein Ansatz entwickelt, der diese Restriktionen durch einen zusätzlichen Aktor überwindet. Dieser Aktor überträgt mit einem mechanischen Stoß zum gewünschten Zeitpunkt einen definierten Impuls auf den Maschinentisch. Der Maschinentisch wird durch den Impuls schlagartig beschleunigt, was nahezu einen Geschwindigkeitssprung beziehungsweise Konturen mit spitzen Ecken ermöglicht. Da die Aktormasse im Vorfeld über einen längeren Zeitraum beschleunigt wird und die Kraftübertragung beim Stoß losgelöst vom Hauptantrieb des Tischs realisiert ist, erfährt das Maschinengestell durch den Impuls keine zusätzliche Anregung. Gleichzeitig entfällt die Anregung durch den Hauptantrieb, der den Maschinentisch nicht mehr beschleunigen muss.

Für die praktische Validierung des Konzepts wurde am ISW ein Prüfstand aufgebaut. Ein Maschinentisch mit Lineardirektantrieben wurde in einer Achse durch einen entsprechenden Aktor erweitert (Aufbau in Bild 1). Als Aktor wird eine hochdynamische Tauchspule verwendet, welche die ringförmige Impulsmasse relativ zum Maschinentisch bewegt.

Bild 2: Sollprofil für den LDA mit resultierendem Profil für den Aktor.
Bild 2: Sollprofil für den LDA mit resultierendem Profil für den Aktor.
(Bild: Universität Stuttgart)

Für ein gegebenes Sollprofil des Maschinentischs mit Sprüngen im Geschwindigkeitsverlauf wird anschließend das Sollwertprofil des Aktors berechnet (Bild 2). Um die Geschwindigkeitssprünge zu realisieren, muss der Aktor zum jeweiligen Zeitpunkt den notwendigen Impuls auf den Tisch übertragen. Dafür benötigt der Aktor im Moment des Stoßes die passende Geschwindigkeit vimp. Diese kann über den Impulserhaltungssatz berechnet werden, für den neben den Geschwindigkeiten noch die Massen von Aktor und Tisch sowie die reale Stoßzahl k notwendig sind. Diese Stoßzahl wurde im Vorfeld experimentell ermittelt und ergibt sich aufgrund der Nachgiebigkeit der Bauteile als Kennlinie k(Δv), die abhängig vom zu realisierenden Geschwindigkeitssprung ist. Falsche Parameter für die Stoßzahl oder die Massen sorgen für einen zu hohen oder zu geringen Impulsübertrag, was zu einem ungewollten Geschwindigkeitsfehler des Maschinentischs führt. Über den Impulserhaltungssatz kann ebenso die Geschwindigkeit des Aktors nach dem Stoß berechnet werden. Mit entsprechenden Interpolationskurven ergibt sich das Profil des Aktors (Bild 2, unten), der zu den gewünschten Zeitpunkten mit der erforderlichen Geschwindigkeit gegen die Kontaktflächen schlägt. Weitere Untersuchungen beschäftigen sich unter anderem mit den Einflüssen der Massen von Tisch und Aktor und der Stoßgeometrie.

Beschleunigungen bis zu 500 m/s² möglich

Bild 3: Geschwindigkeit und Beschleunigung der Linearachse mit und ohne Aktor. Rechts ist ein detaillierter Ausschnitt sichtbar.
Bild 3: Geschwindigkeit und Beschleunigung der Linearachse mit und ohne Aktor. Rechts ist ein detaillierter Ausschnitt sichtbar.
(Bild: Universität Stuttgart)

Die Messwerte der sich ergebenden Geschwindigkeit und Beschleunigung des Maschinentischs für das Sollprofil sind in Bild 3 dargestellt, wobei als Referenz dasselbe Profil mit inaktivem Aktor aufgezeichnet wurde. Die Messung zeigt: Mit Aktor kann die Geschwindigkeit nahezu sprungartig geändert werden. Der Antrieb ohne Aktorunterstützung benötigt hingegen viel mehr Zeit, den Zielwert zu erreichen, und es treten deutliche Schwingungen auf. Weiterhin ist im detaillierten Ausschnitt des ersten Sprungs zu sehen, dass die Zielgeschwindigkeit sehr gut getroffen wird. Durch die schlagartige Impulsübertragung werden bei diesem Sollprofil Beschleunigungen von bis zu 500 m/s² am Tisch erreicht, wobei für höhere Geschwindigkeitssprünge noch höhere Beträge möglich sind. Beschleunigungsmessungen am Gestell (Bild 4) zeigen weiterhin, dass die im Normalbetrieb auftretende Anregung der ersten Eigenfrequenz des Maschinengestells durch den Betrieb mit Aktor sehr stark reduziert wird, ohne nennenswerte Zusatzschwingungen in das System zu bringen.

Bild 4: Schwingungsspektrum des Gestells in Vorschubrichtung
Bild 4: Schwingungsspektrum des Gestells in Vorschubrichtung
(Bild: Universität Stuttgart)

Laufende Untersuchungen beschäftigen sich unter anderem mit einer verbesserten Ansteuerung und Regelung des Aktors, alternativen Antriebskonzepten und weiteren Detaillierungsfragen. Im Laufe des nächsten Jahres soll außerdem die Adaption des Konzepts in die zweite Achse des Versuchsstands erfolgen, was viele neue Untersuchungen ermöglicht und notwendig macht. Außerdem kann erst durch die zweite Achse die geplante Eckenfahrt realisiert werden. Ein weiteres Ziel für die Zukunft ist die Industrietauglichkeit des Konzepts zu verbessern: Derzeit wird der Versuchsstand mit einem Echtzeit-Prototyping-System angesteuert, was in der Zukunft durch eine industrietypische Steuerung ersetzt werden soll. Der beschriebene Versuchsstand soll 2020 auf der SPS in Nürnberg präsentiert werden.

Das Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart auf der SPS 2019: Halle 3, Stand 3-358

* Alexander Schulte und Dipl.-Ing. Peter Zahn sind Mitarbeiter, Dr.-Ing. Armin Lechler ist stellvertretender Leiter und Prof. Dr.-Ing. Alexander Verl ist Leiter des Instituts für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) der Universität Stuttgart in 70174 Stuttgart, Tel. (07 11) 6 85-8 24 63, alexander.schulte@isw.uni-stuttgart.de

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