Porträt Gummi war sein Leben

Autor / Redakteur: Alexander Völkert / Dipl.-Ing. (FH) Reinhold Schäfer |

Charles Goodyear wurde vor 220 Jahren geboren. Er gilt als Entdecker der Vulkanisation. Jahrelang sucht er nach der richtigen Zusammensetzung. Dann hilft ihm wohl der Zufall.

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Der Legende nach entdeckt Charles Goodyear versehentlich den Vulkanisationsprozess in seiner Küche in Woburn (Massachusetts/USA). Die Gründer der Goodyear Tire & Rubber Company wählten Goodyears Namen für das Unternehmen als Hommage an die Entdeckung. Charles Goodyear hatte nie etwas mit der Firma zu tun, die seinen Namen trägt.
Der Legende nach entdeckt Charles Goodyear versehentlich den Vulkanisationsprozess in seiner Küche in Woburn (Massachusetts/USA). Die Gründer der Goodyear Tire & Rubber Company wählten Goodyears Namen für das Unternehmen als Hommage an die Entdeckung. Charles Goodyear hatte nie etwas mit der Firma zu tun, die seinen Namen trägt.
(Bild: Goodyear)

1839 fällt einem Tüftler und Unternehmer an der Ostküste der USA eine Mischung aus Kautschuk und Schwefel auf eine heiße Herdplatte. Glaubt man der Legende, passierte es zufällig. So entdeckt Charles Goodyear die Vulkanisation und gilt als Erfinder des Hartgummis.

Ganz so zufällig und aus dem Nichts widerfährt ihm dies jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Charles Goodyear ist regelrecht besessen von der Idee, Gummi widerstandsfähig gegenüber Temperaturveränderungen zu machen, denn seinerzeit ist der Stoff bei Wärme klebrig und bei Kälte brüchig und damit alles andere als ein dehnbarer, wasserabweisender und widerstandsfähiger Stoff, wie wir ihn heute kennen. Jahrelang fügt Goodyear dem Kautschuk alle möglichen Materialien hinzu. Dabei sind ihm weder seine Gesundheit noch die Situation seiner Familie zu schade. Geschäftspartner ermutigen ihn und für Goodyear ist es eine Vision, mit Gummi ein reicher Mann zu werden. Doch gelingt es ihm am Ende?

Kautschuk ist warm klebrig und kalt spröde

Der erste Heißluftballon steigt 1783 in Frankreich in den Himmel. Die Seide des Ballons ist mit Kautschuk bestrichen, der in Terpentin gelöst ist. Vierzig Jahre präsentiert der Schotte Charles Macintosh 1823 den Briten einen Regenmantel, der mit Kautschuk beschichtet ist. Wenn es regnet, holen die Briten bis heute den „Macintosh“ aus dem Schrank. Doch das Material hat einen Nachteil: Wenn es warm ist, klebt der Stoff, sobald es kälter wird, ist er brüchig und somit auch nicht für den Dauergebrauch bestimmt.

Und so geht es auch Charles Goodyear, als er 1833 in Massachusetts ein Werk für wasserfeste Gummiprodukte gründet und Stiefel und Zelte anbietet. Goldgräber sind in den Weiten des Landes unterwegs und suchen ihr Glück. Die Nachfrage nach einem verlässlichen wasserfesten, robusten Stoff scheint im Land der unbegrenzten Möglichkeiten also durch­aus hoch zu sein.

Goodyear beginnt 1834, nach einer Lösung zu suchen. Er will Kautschuk unempfindlich gegenüber extremen Temperaturen machen und fügt ihm alle möglichen Materialien hinzu. Er experimentiert mit Bleioxid und verkauft für 5 Dollar die Schulbücher seiner Kinder, um weiter experimentieren zu können. Als eines der Kinder im Alter von zwei Jahren stirbt, hat er nicht einmal das Geld für eine Beerdigung.

Ballons, Möbel und Haushaltsgeräte aus Gummi

Nach fünf Jahren des Probierens löst ein Zufall das Problem: Eine Mischung aus Kautschuk und Schwefel soll Goodyear auf den heißen Herd gefallen sein und so kommt er zu seinem ersehnten Ergebnis: Hartgummi. Wiederum fünf Jahre später wird Goodyear am 15. Juni 1844 vom United States Patent Office das Patent 3633 zum Vulkanisieren von Gummi erteilt. Er nennt seine Erfindung „metallic gum elastic composition“ und führt sie 1850 in die Fabrikation ein.

Ein Jahr später wird er zur ersten Weltausstellung nach London eingeladen. Goodyear leiht sich dafür 30.000 Dollar, lässt Ballons aus Gummi in die Luft steigen und stellt Möbel sowie Haushaltsgeräte aus dem neuen Werkstoff vor. Wenig später investiert er nochmals 50.000 Dollar in eine Ausstellung in Paris. Kaiser Napoleon III. von Frankreich würdigt ihn mit einem Orden für seinen Ehrenpavillon mit Gummivorhängen. 1855 stellt Goodyear sogar das erste Gummikondom her.

Am Lebensende besitzt er ein Patent und hohe Schulden

Klingt, als sei der Vater des Gummis nach schwierigen Anfangsjahren dank seiner Erfindung und seines Ruhms doch schnell ein erfolgreicher Mann geworden. Dem ist jedoch nicht so. Charles Goodyear bleibt sein Leben lang ein mittelloser Mann, der mehr als ein Mal im Gefängnis landet, weil er seine Schulden nicht zurückbezahlen kann. Nach dem Ruhm in London und Europa holt ihn in den USA sogar ein Patentstreit ein, der zu einem legendären Gerichtsstreit des 19. Jahrhunderts wird.

Am Ende gewinnt ihn Goodyear gegen seinen Konkurrenten Ho­race Day, doch von der Entschädigung kann er lediglich alle Schulden bezahlen und ist wieder mittellos. Als er am 1. Juli 1860 in New York stirbt, ist klar, dass er auch am Ende seines Lebens kein erfolgreicher Geschäftsmann geworden ist, denn seiner Familie kann er nur das Patent 3633 zum Vulkanisieren von Gummi und 200.000 Dollar Schulden hinterlassen.

Dass er als Erfinder des Hartgummis dennoch eine ihm gebührende Würdigung erfahren soll, finden die Brüder Frank und Charles Seiberling, als sie 1898 ihre Firma für die Produktion von Kautschuk gründen. Sie nennen ihr Unternehmen„Goodyear Tire & Rubber Company“ „Goodyear Tire & Rubber Company“, denn Charles Goodyear ist der Entdecker der Vulkanisation und Begründer der modernen Gummiindustrie. Das US-amerikanische Unternehmen ist heute der weltweit drittgrößte Reifenhersteller, doch Charles Goodyear hatte nie etwas mit der Firma zu tun, die seinen Namen trägt.

Todesstrafe und Völkermord für Kautschuk

Die Nachfrage nach Kautschuk steigt nach Goodyears Tod enorm. Zunächst kommt der Rohstoff aus Brasilien. Dort verbietet man die Ausfuhr von Samen des Baumes und droht mit der Todesstrafe. Wenig später wird Kutschuk in den Urwäldern des Kongo gewonnen. Der belgische König macht das Land 1885 schlicht zu seinem Privatbesitz. König Leopold II lässt für den Rohstoff Dörfer niederbrennen, Hände und Füße amputieren und Menschen hinrichten. Seine Söldner nehmen Frauen und Kinder als Geisel, um diese zu zwingen, die Förderquote zu erhöhen. Schätzungen gehen heute davon aus, dass durch seinen Kautschuk-Terror bis zu 10 Mio. Menschen sterben mussten.

Und heute? Im 21. Jahrhundert ist Gummi ein wichtiger Werkstoff. Die Industrie entwickelt ihn für zahlreiche Anwendungen. Aus dem Elastomer lässt sich vom Reifen und der Dichtung bis hin zur Latexmatratze und dem Kondom vieles herstellen. Wichtige Branche ist dabei die Automobilindustrie mit ihrem hohen Bedarf an Schläuchen, Reifen, Dichtungen und Federungssystemen. Und auch im Maschinenbau bzw. der Automatisierung ist viel Gummi gefragt, sei es das Förderband, der Antriebsriemen oder einfach verschiedene Gummimuffen. Allein 2018 werden in Deutschland rund 678.000 t Kautschuk verarbeitet. Rund zwei Drittel davon werden allerdings synthetisch durch Polymerisation aus Styrol, Styrolacrylat, Reinacrylat und Vinylacetat hergestellt. Die Polymerketten sind dabei überwiegend aus Kohlenwasserstoffen aufgebaut. Wurde der erste synthetische Kautschuk nach dem 1. Weltkrieg auf der Basis von Kohle und Kalk hergestellt, dient heute Erdöl als Rohstoff für Gummi. Doch 232.000 t werden 2018 in Deutschland auch aus Naturkautschuk gewonnen. Und der kommt heute vorwiegend aus Malaysia, Thailand und Indonesien.

Alexander Völkert ist Fachjournalist in Berlin, av@industrieimkontext.de

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