Stocherroboter Selbst entwickelte Roboter halten BASF-Anlage am Laufen

Von Klaus Jopp |

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Die neue Acetylenanlage der BASF kann jährlich 90.000 t der Chemikalie produzieren. Dabei entsteht der sogenannte Acetylenkoks, der permanent entfernt werden muss – mit den BASF-eigenen Stocherrobotern.

Damit in der neuen Acetylen-Anlage der BASF bei der Produktion nicht der Brennraum verstopft, kommen selbst entwickelte Stocherroboter zum Einsatz.
Damit in der neuen Acetylen-Anlage der BASF bei der Produktion nicht der Brennraum verstopft, kommen selbst entwickelte Stocherroboter zum Einsatz.
(Bild: Hans-Juergen Doelger/BASF)

Die Fackeln der neuen Acetylenanlage im Werksteil Nord der BASF, intern als W148 bezeichnet, loderten immer mal wieder hell in die Nacht. Besorgte Anwohner aus Ludwigshafen riefen beim weltweit größten Chemieunternehmen an und beschwerten sich zusätzlich über Lärmbelästigungen. Doch die Fachleute dort konnten die Bürger schnell beruhigen. Das Geschehen an den drei Fackeln über die letzten Monate ist ein Zeichen dafür, dass der Anfahrprozess der Anlage weiter planmäßig voranschreitet. Dabei werden in vielen Einzelschritten immer mehr Komponenten, Steuerungselemente und technische Einrichtungen auf ihr bestmögliches Zusammenspiel geprüft. Wenn die Acetylenanlage, die modernste ihrer Art weltweit, in den Normalbetrieb eintritt, fallen diese Belastungen weg.

Die Produktionsfläche entspricht fast acht Fußballfeldern

Die hochmoderne Acetylenanlage hat eine Kapazität von 90.000 t pro Jahr und arbeitet nach dem weltweit effizientesten Produktionsverfahren. Die neue Fabrik umfasst eine Fläche von rund 40.000 m2 – das entspricht einer Fläche von nahezu acht Fußballfeldern – und wird die bisher bestehende Altanlage ersetzen, die seit 1964 lief und inzwischen außer Betrieb ist. Das hochreaktive Gas Acetylen ist ein besonders wertvoller Ausgangsstoff, der von etwa 20 Betrieben der BASF in Ludwigshafen zur Fertigung chemischer Erzeugnisse eingesetzt wird. Beispiele dafür sind Arzneimittel, Vitamine und Duftstoffe sowie Pflanzenschutzmittel, Kunststoffe, hochelastische Textilfasern, Elektronikchemikalien und Lösemittel. „In diesem Sinne ist die Acetylenherstellung das Rückgrat eines ganzen Wertschöpfungsnetzes unseres Standortes hier“, betont Dr. Uwe Liebelt, Werksleiter in Ludwigshafen.

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Ohne Quenchen würde das Acetylen wieder zerfallen

Acetylen entsteht durch die bewusst unvollständige Verbrennung von Erdgas mit Sauerstoff bei bis zu 1400 °C. Neben Acetylen und Wasserstoff fallen bei diesem Prozess noch Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Wasser, Methan und Ruß an. Wenige Tausendstelsekunden nach der Reaktion muss das acetylenhaltige Spaltgas schlagartig heruntergekühlt werden. Nach dem Quenchen, so die chemische Bezeichnung für diesen Vorgang, der den Zerfall des gebildeten Acetylens verhindert, wird im nächsten Schritt das Lösungsmittel N-Methylpyrrolidon (NMP) hinzugegeben. Es dient dazu, das Spaltgas in seine beiden Hauptbestandteile zu trennen: Acetylen und Synthesegas, ein Kohlenmonoxid-Wasserstoff-Gemisch. Nach der Reinigung werden Acetylen und Synthesegas durch Rohrleitungen in die wesentlichen Abnehmerbetriebe geführt. Die neue Acetylenfabrik am Standort Ludwigshafen verfügt über insgesamt zehn Reaktoren, das Quenchen wird hierbei durch Wasser ausgeführt. Gegenüber früher eingesetzten Ölen hat das geschlossene Wasserquenchverfahren den Vorteil, dass die Emissionen von organischen Stoffen vermieden werden.

Brennraum muss permanent gereinigt werden

Die Entstehung von Verkokungsprodukten ist bei der Herstellung von Acetylen unvermeidbar. Dieser Ruß bildet unterschiedlich große Brocken und Schichten, die auf längere Sicht den Brennraum empfindlich verstopfen würden. Deshalb muss dieser permanent gereinigt werden. Diese schwere und monotone Aufgabe musste lange von dafür geschulten Mitarbeitern erledigt werden, das heißt, der Koks wurde von Hand mit einer langen Stocherstange regelmäßig und in kurzen Zeitabständen abgestoßen.

In der Altanlage in Ludwigshafen waren über Jahrzehnte damit zwei Mitarbeiter beschäftigt, die mindestens ein Mal pro Stunde jeden Reaktor gesäubert haben. Manchmal waren die Ablagerungen so stark, dass sich die Stangen kaum noch bewegen ließen. In jedem Fall war die Arbeit eine große Belastung, insbesondere für Rücken und Gelenke.

Für jeden Reaktor gibt es einen eigenen Stocherroboter

Bereits in der Altanlage wurde mit ersten Robotern automatisiert. In der neuen Anlage wurde „das Stochern im Dunklen“ dann auf Basis dieser Ergebnisse nochmals deutlich verbessert. Hier haben nun zehn Stocherroboter nach dem besten Stand der Technik diesen mühsamen Prozess übernommen. Für jeden der zehn Reaktoren gibt es einen eigenen Roboter, der vom Team „Robotics & Mechatronics“ der BASF selbst entwickelt wurde. Zur Entfernung der Koksansätze in den Brennerräumen ist jeweils ein Roboter an die vorhandene Hand-Stocherstange elektromagnetisch angekoppelt und überträgt mit drei elektrisch angetriebenen Elektrozylindern die erforderlichen Bewegungsabläufe auf die Stocherstange. Dabei werden sieben Reinigungszyklen nacheinander abgefahren. Etwa alle zwei Minuten wird einer dieser Zyklen gestartet, nach rund 20 Minuten sind alle sieben Zyklen durchfahren. Dabei darf jeder Zyklus selbst nicht länger als 15 Sekunden andauern, da sonst die Stocherstange im Brennraum verglühen beziehungsweise beschädigt werden könnte. Alle spiralartigen Bewegungen der Stange sind dabei berührungslos, haben also keinen Kontakt mit der Brennerplatte und den Wandungen. „Der Einsatz von Robotern ist hier besonders effektiv, weil diese Sisyphusarbeit nicht nur alle zwei Minuten wiederholt werden muss, sondern auch nur sehr kurze Zeitspannen zur Verfügung stehen“, bestätigt Ralf Bihl, Automation Manager im Team Robotics & Mechatronics bei BASF.

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Die Kräfte und Momente der Anlage wurden dafür ausgelegt, eine „Menschen-Stärke“ zu ersetzen. Wenn ein Mitarbeiter mit der Stocherstange manuell stochern kann, ist die Anlage für den Roboter mechanisch richtig eingestellt. Sollte die Kraft des Menschen nicht ausreichen, ist die Mechanik beziehungsweise speziell die Stopfbuchse nicht richtig eingestellt und Störungen durch Abkopplungen der Stocherstange vom Roboter oder das „Abreißen“ der Stocherstange vom Magneten sind möglich. Der Magnet bildet somit also gleichzeitig eine Sollbruchstelle, um die Mechanik des Roboters und der Stocherstange vor irreversiblen Beschädigungen durch Überlast zu schützen.

Roboterlösung aus eigener Entwicklung

Bei der Entwicklung der neuen Lösung wurden „Industrieroboter von der Stange“ mit der BASF-eigenen Inhouse-Variante verglichen. Die Entscheidung für die Anwendung in der Acetylen-herstellung fiel wegen zahlreicher Vorteile für die eigene Technologie, die aufgrund der speziell zugeschnittenen Kinematik einen geringeren Platzbedarf ausweist. Da die Kinematik direkt auf die Anwendung maßgeschneidert ist, sind die Bauteile von geringer Masse und können so manuell und ohne Kran ersetzt werden. Aus den geringeren Massenträgheitsmomenten gegenüber einem Sechsachsroboter resultieren auch niedrigere Ansprüche an die Fundamente. Zudem kann der „BASF-Geselle“ auch im stromlosen Zustand von Hand weggeschoben werden, was eine Bedienung der Stocherstangen von Hand im Notfall und zugleich eine optimale Zugänglichkeit bei Brennerrevisionen ermöglicht. Die Inhouse-Lösung basiert auf bewährten beziehungsweise im Laufe der Zeit optimierten Komponenten, aufgrund der modularen Bauweise ist ein schneller Service beziehungsweise Komponententausch ohne großen Aufwand durchführbar, ein Pluspunkt in Sachen Verfügbarkeit.

Die Steuerung ist nicht in Kompaktmodul-Bauweise ausgeführt, das bedeutet, dass Steuerungsteile, Regler, Leistungsteile et cetera einzeln getauscht werden können. Ersatzteile sind bis auf wenige Ausnahmen Serienteile von Herstellern am Markt, also gut und rasch zu beschaffen.

Da die Roboteranlagen in einer explosionsgefährdeten Zone (Ex- Zone 2 T2, dabei steht T2 für eine Oberflächentemperatur an Geräten von maximal 300 °C, weil die Entzündungstemperatur von Acetylen 305 °C beträgt) betrieben werden, sind sie entsprechend ausgelegt. So sind die Steuerungen getrennt von den Robotern in drei Containern und zehn Bedienfeldern beziehungsweise HMIs (Human Machine Interfaces) untergebracht, die jeweils in Ex-p-Überdruckkapselung ausgeführt sind.

365 Tage im Jahr klaglos im Einsatz

Erste Betriebsergebnisse aus der neuen Anlage zeigen wie erwartet weiterhin eine deutliche Rußbildung an den Wänden der Brennräume. „Wir gehen davon aus, dass eine so große, erforderliche Mitarbeiterzahl für das Stochern in den kurzen Intervallen, also für diese monotone, anstrengende körperliche Arbeit weder wirtschaftlich noch gesundheitlich vertretbar wäre – dadurch rechnen sich unsere Roboter in jedem Fall“, freut sich Fachmann Bihl. Die „stählernen Gesellen“ sind zudem 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr klaglos im Einsatz. Nur bei Wartungsarbeiten an den Brennern haben die Roboter Pause. Dank des Wasserquenchens geht BASF aber davon aus, dass Revisionen nur noch in größeren Abständen stattfinden müssen. Dennoch wird jeder Reaktor für wenige Tage pro Jahr aufgrund gesetzlich vorgeschriebener Sicherheitsprüfungen außer Betrieb gehen – dann hätten auch die Roboter mal Ruhe beim Stochern im Dunklen.

* Dipl.-Chem. Klaus Jopp ist freier Autor aus Hamburg. Weitere Informationen: BASF SE in 67056 Ludwigshafen, Tel. (06 21) 6 00, info.intermediates@basf.com

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