Schuler und Porsche Karosserieteilefertigung von morgen
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Das Joint-Venture von Schuler und Porsche, der Smart Press Shop, hat vor wenigen Wochen in Halle mit der Produktion begonnen. Auf der grünen Wiese ist hier eines der modernsten Presswerke überhaupt entstanden.

Stolz – das ist es, was man als einer der ersten Besucher in Halle sieht, wenn man in die Gesichter von Hendrik Rothe (Geschäftsführer Smart Press Shop), Markus Hees (Planung Karosserie bei Porsche), Klaus Linnig (Geschäftsführer Schuler Pressen) und Rohitashwa Pant (CDO Schuler) blickt. Dieser Stolz ist nachvollziehbar. Was hier entstanden ist, ist nicht nur von den Ausmaßen her beeindruckend (die Halle ist mit Abstand die größte im ganzen Industriepark), sondern vor allem auch aufgrund all dem, was drin steckt. Der Smart Press Shop, das Joint-Venture von Schuler und Porsche, ist im wahrsten Sinne des Wortes bis unters Dach (das Kransystem beziehungsweise besonders die Greifer sind in Zusammenarbeit mit Bang speziell für den Smart Press Shop entwickelt worden) voll von innovativen und digitalen Lösungen, die eine schnelle, flexible, nachverfolgbare und kostenorientierte Fertigung für eine Autoindustrie ermöglichen, die im Sinne der Derivatisierung der Modelle immer kleinere Losgrößen realisiert.
Die Zusammenarbeit des OEMs Porsche mit dem Anlagenbauer aus Göppingen ist eine einzigartige Konstellation. „Die Ideen eines Autobauers plus die Ideen eines Pressenbauers zu bündeln, gemeinsam zu entwickeln, zu konstruieren und zu realisieren – das hat hier in Halle 4.0 im Presswerk neu definiert“, ist Smart-Press-Shop-Chef Rothe begeistert.
Seit wenigen Wochen ist die Fertigung der Frontklappe für den Prosche-Macan angelaufen. Diese ist bisher in Bratislava gefertigt worden. Nun sind die Werkzeuge nach Halle umgezogen. Die Fertigung dort, nahe am Porsche-Werk in Leipzig, spart Zeit, Geld und CO2 von weiten LKW-Strecken – ganz im Sinne des grünen Gedankens, den Porsche verfolgt. Bis 2030 will der Autobauer über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bilanziell CO2-neutral sein.
Aber, und das ist Rothe ganz wichtig zu betonen, es soll genau nicht nur Porsche als Teilhaber des Joint-Ventures beliefert werden, sondern jeder Autobauer kann das Presswerk in Halle als Tier1 nutzen. „Wir verstehen uns als Betreiber eines Presswerks, das seine Leistung allen OEMs anbietet.“ Genau deshalb wurde beim Layout der Pressenlinie auch besonders drauf geachtet, möglichst viele verschiedene Arten und Größen von Bauteilen fertigen zu können, beziehungsweise deren Schrott abführen zu können.
Der Kran spricht mit der Presse
Neben einer Laser-Platinenschneideanlage und der Servo-Pressenline mit einer Ausbringungsleistung von maximal 20 Hüben pro Minute steht in der Halle außerdem eine Einarbeitungspresse, die identisch zur Kopfpresse der Linie aufgebaut ist. „In näherer Zukunft soll außerdem eine Instandhaltung für die Werkzeuge hier in Halle implementiert werden“, berichtet Markus Hees, kommend von Porsche im Smart Press Shop für die Planung der Karosserie zuständig. Beim Werkzeugbau setzt man auf vertraute Qualität, den Porsche Werkzeugbau GmbH in Schwarzenberg im Erzgebirge.
Aber vor allem auch die Zeiten zwischen den eben genannten Anlagen standen beim Layout des Presswerks im Fokus. Klaus Linnig, Geschäftsführer der Schuler Pressen GmbH, erläutert: „Um effizient und für Kunden preisattraktiv arbeiten zu können, müssen die Rüstzeiten so gering wie möglich gehalten werden. Dafür kommunizieren für das Vorrüsten hier in Halle beispielsweise die Presse und der Kran miteinander.“ Damit ist unter anderem gemeint, dass der Kran rechtzeitig und noch in diesem Jahr auch mannlos und selbstständig das benötigte Werkzeug aus dem Lagerbereich holt, zur Presse transportiert und auf dem Pressentisch absetzt. Hier fällt sogar das bisher übliche händische Seile ein- und aushängen weg. „Wir wollen mit maximal 150 Sekunden für das eigentliche Wechseln einen Benchmark in der Branche setzen“, so Linnig. Es gehe also hier nicht nur um die reine Technik, sondern auch um eine bestmögliche Arbeitsorganisation. „Als unique lässt sich in diesem Zusammenhang außerdem hervorheben, dass die Werkzeuge auf dem Tisch automatisiert gespannt werden“, ergänzt Hees, der den Smart Press Shop zurecht in mehreren Hinsichten als „First Mover“ beschreibt.
Für die Intralogisitk zwischen Laserschneidanlage und Pressenlinie wird aktuell ebenfalls fleißig an einer autonomen Fahrlösung getüftelt. Hier ist für die bereits existierenden mannlosen Stapler aktuell noch die hohe Tonage der Platinen die Herausforderung.
Jedes einzelne Bauteil nachverfolgen
Auf dem dem gesamten Weg durchs Presswerk ist dabei jedes einzelne Bauteil komplett nachverfolg- und identifizierbar. „Wir greifen hier umfassend auf RFID-Technik zurück“, erläutert Rothe. „Unsere Laser-Blanking-Line versieht jedes Bauteil mit einer eigenen ID, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten und Produktstadien zurück verfolgbar ist. Zu dieser ID sind alle wichtigen Informationen in einer Datenbank hinterlegt, sodass sich im Nachgang nachvollziehen lässt, aus welchem Coil das verarbeitete Bauteil stammt, welche Parameter beim Umformprozess vorlagen, und welche Qualitätsmerkmale das Bauteil aufweist.“
Als klassischer Anlagenbauer hat Schuler bisher relativ wenig über seine verkauften Maschinen im Einsatz beim Kunden erfahren. „Dank des Smart Press Shops, den wir als Auftragsfertiger für OEMs sehen, wir als Schuler aber gleichzeitig involviert sind, haben wir nun erstmals die Möglichkeit, umfassende Informationen über unsere Anlagen im Einsatz zu erhalten. Das ermöglicht es uns, daraus zu lernen und Verbesserungen und neue Lösungen abzuleiten“, so Linnnig.
Vor allem auch im Sinne von 4.0 ist die Produktion in Halle aufgebaut. Rohitashwa Pant, Chief Digitalization Officer, bekommt glänzende Augen, wenn er von den weiteren digitalen Kniffen spricht, die neben dem oben bereits beschriebenen Track-and-Trace in Halle implementiert sind. Darunter gehört unter anderem Digi Sim: „Umformprozess und Teiledurchlauf wurden beim Smart Press Shop schon im Vorfeld am Computer simuliert. Das reduziert das Risiko eines Ausfalls. Auch die üblichen Abläufe innerhalb der Presse sind mithilfe ihres digitalen Zwillings lange vor dem Produktionsstart virtuell darstellbar. Erste Tests und Software-Anpassungen sind möglich, wodurch sich die Inbetriebnahme spürbar beschleunigt. Trainings am virtuellen Abbild sind ebenfalls sinnvoll, weil dann die Produktion auf der realen Anlage nicht unterbrochen werden muss.“ Eine Anwendung, die auch dem Maschinenbediener selbst schlicht und einfach das Leben leichter macht, ist die Visual Die Protection. Pant erklärt dazu: „Kameras in der Pressenlinie beobachten mithilfe intelligenter Software den Umformprozess. Dabei erkennen sie beispielsweise, wenn sich ein Stanzrest ins Werkzeug verirrt hat und es zu beschädigen droht, und stoppen die Anlage sofort.“ Technisch möglich werde das durch den Vergleich von Ist- und Soll-Zustand innerhalb von Sekundenbruchteilen. „Außerdem überwachen Kameras den sogenannten Ziehrand der Bauteile. Unter gleichbleibenden Bedingungen im Umformprozess bleiben die Form und Größe dieses Ziehrands weitgehend gleich. Kommt es hier zu einer Veränderung, deutet dies auf eine Abweichung bei Materialeigenschaften, Schmierung oder Ziehkräften hin“, so Pant. Die Prozessüberwachung gebe in diesem Fall einen Hinweis an den Anlagenbediener, damit dieser frühzeitig Korrekturen vornehmen kann, um teure Ausschuss- oder Nacharbeitsteile zu vermeiden.
Ausgezeichnete Software
Auch die SAP-Einbindung ist in diesem digitalen Kontext nicht zu verachten. Für ein „Implementierungsprojekt mit dem IT-Dienstleisters Syntax“ hat der Smart Press Shop den SAP Innovation Award 2021 gewonnen. Für das Presswerk entwickelte Syntax eine vollständig Public-Cloud-basierte integrierte SAP-Lösung, bestehend aus SAP S/4HANA Public Cloud und der SAP-Digital-Manufacturing-Cloud for Execution. Dies ist eine der weltweit ersten Installationen ihrer Art in der diskreten Fertigung und damit ein Musterprojekt für Industrieunternehmen, die mit S/4HANA in die Public Cloud streben. Als reine Cloud-Installation kommt die Lösung vollständig ohne Rechnerkapazitäten und ohne IT-Mannschaft vor Ort aus. Den Betrieb des Systems, das seit Mitte März 2021 produktiv läuft, hat Syntax als applikationsbezogenen Managed Service übernommen. „ Wir als Smart Press Shop können uns damit voll auf unser Kerngeschäft konzentrieren – die Fertigung von Karosserieteilen“, so Rothe.
Die Zukunftsorientierung des gesamten Joint-Ventures spiegelt sich auch im von Porsche getriebenen grünen Gedanken wieder. Im Sinne einer „Zero Impact Factory“ zielt der Smart Press Shop auf einen Cloesd Loop ab. Hees erläutert dazu: „Wir haben uns viele Gedanken ums Recycling gemacht. Man denkt es nicht, aber wenn unser Abfall Stahl, Aluminium in 5000er-Legierung und Aluminium in 6000er -Legierung sortenrein in den Abfallbehältern gesammelt und so an den Aluhersteller zurückgeliefert wird, wird ungemein viel CO2 eingespart, das sonst beim Sortieren des Abfalls anfallen würde.“ Möglich macht das im Übrigen auch wieder die berühmte 4.0. Pant erläutert: „Dank der Codes, hinter denen sich die Informationen zum Bauteil verbergen, können Kameras an den Schrottabführbändern auslesen, welcher Werkstoff sich gerade auf dem Weg in die Container befindet und entsprechend die Weichen der Bänder in den richtigen Abfallbehälter stellen.“
Bei so viel Nachhaltigkeit ist es nur erwartbar, dass man papierlos arbeitet, die Abwärme der Pressenlinie im Winter zum Heizen der Halle genutzt wird und das Dach mit vielen Oberlichtern ausgestattet ist, um Strom für künstliches Licht zu sparen und den Mitarbeitern eine angenehme Beleuchtung zu ermöglichen.
Pant ist begeistert, wenn er auf die Zukunft des Smart Press Shops blickt: „Wir haben hier in Halle die Grundlage für ein gigantisches Spielfeld geschaffen, auf dem wir lernen und uns weiterentwickeln können. Hierbei ist in keinster Weise der Arbeitsplatz oder das Berufsbild des Maschinenbedieners in Gefahr – im Gegenteil! Alles, was hier in Halle installiert ist, ist dafür da, dem Werker Superkräfte zu verleihen! Dabei ist die Digitalisierung kein Selbstzweck, sondern als Hilfsmittel zu verstehen, um am Ende des Tages mehr Gutteile rauszubekommen!“
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Gemeinschaftsunternehmen
Schuler und Porsche gründen Joint Venture für Karosseriebau
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