Expertin „Wer nicht additiv denkt, verschwendet Potenzial!”

Autor / Redakteur: Sonja Rasch / Simone Käfer

Wie additives Denken zu sinnvollen Anwendungen führt, erläutert Sonja Rasch von Materialise. Die Vertriebsleiterin sieht keinen Sinn darin, die Potenziale der Additiven Fertigung nicht auszuschöpfen.

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Rapid Prototyping ist nicht nur der klassische, sondern auch der Anwendungsbereich, in dem die Additive Fertigung am stärksten vertreten ist.
Rapid Prototyping ist nicht nur der klassische, sondern auch der Anwendungsbereich, in dem die Additive Fertigung am stärksten vertreten ist.
(Bild: Hasselblad H5D, Peugeot)
  • Prototypen lassen sich ohne den umständlichen Umweg über Werkzeuge und Formen schnell, variantenreich und wirtschaftlich realisieren.
  • Bei additiv gefertigten Hilfsmitteln und Werkzeugen für die Montage wird oft noch ein konventioneller Konstruktionsansatz verfolgt, das Potenzial der Additiven Fertigung nicht voll ausgeschöpft.
  • Beispiele zeigen, dass Leichtbau und die Optimierung oder Integration von Funktionen zu Performancesteigerungen oder nachhaltigen Kostensenkungen führen; und auch die Total Costs of Ownership sinken.

Bereits seit drei Jahrzehnten wird 3D-Druck in der Automobilindustrie genutzt. Insbesondere in der Prototypenfertigung sowie bei der Herstellung von Vorrichtungen und Werkzeugen für die Montage kommt die Technik zum Einsatz. Die Möglichkeiten werden hier jedoch noch immer nicht ausgeschöpft: Zum Beispiel bleiben viele Anwendungen unrealisiert, da sie nicht erkannt oder für unwirtschaftlich gehalten werden. Nötig ist ein konsequentes additives Denken, das Lösungen ermöglicht, die sich auch wirtschaftlich spätestens mittelfristig auszahlen.

Bei Prototypen liegen die Vorteile der Additiven Fertigung auf der Hand: Ohne den umständlichen Umweg über Werkzeuge und Formen lassen sich Modelle relativ schnell, variantenreich und wirtschaftlich realisieren. Dies macht es möglich, zum Beispiel die Optik, Aerodynamik und Funktionalität von Modellvarianten rasch und sogar parallel zu überprüfen. Im Wesentlichen aus den gleichen Gründen bietet sich die Technik auch bei der Herstellung von Kleinserien an, die helfen, Baugruppen für Testzwecke zu realisieren oder Produktionsanlagen einzufahren. Die Designfreiheit des 3D-Drucks spielt in beiden Fällen eine untergeordnete Rolle. Da die Bauteile für die konventionelle Serienfertigung ausgelegt sind, werden sie auch im konventionellen Design gedruckt.

Effizienz, die nur durch 3D-Druck möglich ist

Seit vielen Jahren werden in der Automobilindustrie additiv gefertigte Hilfsmittel und Werkzeuge für die Montage realisiert, zum Beispiel Lackier- und Montage­vorrichtungen und diverse Handling- und Greiferanwendungen. Dabei ist entscheidend, dass sich die Bauteile schnell und wirtschaftlich an neue Anforderungen anpassen lassen. Auch hier wird oft noch ein konventioneller Konstruktionsansatz verfolgt, das Potenzial der Additiven Fertigung nicht voll ausgeschöpft. Würden Entwickler jedoch schon beim Design konsequent additiv denken, ließen sich viele weitere auch wirtschaftlich sinnvolle 3D-Druck-­Anwendungen realisieren. Möglichkeiten wie Leichtbau und die Optimierung oder Integration von Funktionen können zu Performancesteigerungen oder nachhaltigen Kostensenkungen führen. Damit verbunden können die Total Costs of Ownership additiv gefertigter Teile erheblich sinken.

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Einige neu entwickelte Anwendungen der letzten Jahre zeigen, was mit additivem Denken erreichbar ist. Eine Klebevorrichtung bei einem Automobilhersteller zum Beispiel besteht aus standardmäßigen Karbonrohren und gedruckten Verbindungspunkten, Auflagen und Puffern. Speziell entwickelte Klebekanäle in den komplexen Verbindungspunkten, die sich nur mit Additiver Fertigung umsetzen lassen, sorgen für eine effiziente Klebeverbindung mit den Karbonrohren. Durch die clevere Kombination und sinnvolle Ausnutzung des 3D-Drucks kostet die Vorrichtung 48 % weniger als die konventionelle Version, sie ist um 64 % leichter und sehr schnell montierbar. Aufgrund ihres modularen Aufbaus lässt sich die Vorrichtung außerdem leicht anpassen, kalibrieren und reparieren. Die Zahl der benötigten Vorrichtungen ist dadurch deutlich reduziert.

Mit additivem Design liegt das Materialvolumen bei 6 %

Ein anderes Beispiel zeigt, wie groß das Potenzial auch im Bereich der Montage- und Automatisierungsanlagen ist. Ein Sauggreifer war ursprünglich so konstruiert, dass er vollständig mit herkömmlichen Produktionswerkzeugen zu fertigen war. Für die notwendigen innen liegenden Kanäle wurden mehrere gerade Bohrungen aus unterschiedlichen Richtungen so gesetzt, dass sie miteinander verbunden waren. Öffnungen wurden durch Blindstopfen verschlossen. Durch eine konsequent additive Überarbeitung des Sauggreifer-Designs stand am Ende ein Bauteil, das nur noch 6 % des Materialvolumens des Originalbauteils besitzt. Das geringere Gewicht ermöglicht den Einsatz kleinerer Roboter und eine deutlich höhere Dynamik. Zugleich verfügt der Greifer nun über aerodynamisch optimierte Saugkanäle, die eine homogene Verteilung des Unterdrucks sicherstellen, sodass mit weniger Saugkraft zuverlässiger gearbeitet werden kann. Das allein würde die Realisierung des neuen Sauggreifers wirtschaftlich sinnvoll machen. In diesem Fall kostet das neue Bauteil aber sogar nur die Hälfte der alten Version.

Alles in allem wird Rapid Prototyping auch langfristig sicher die primäre Anwendung im Automobilbau bleiben. Mit zunehmender Verbreitung additiven Denkens in der Branche wird die Additive Fertigung aber auch beim Bau von Vorrichtungen und Werkzeugen für die Montage eine wachsende Rolle spielen. Je mehr Menschen im Automotive-Sektor konsequent additiv denken, die Vorteile des 3D-Drucks konsequent nutzen und die produktbezogenen Gesamtkosten berücksichtigen, umso mehr sinnvolle Anwendungen werden sich finden. Solange jedoch Unternehmen nur ihre bestehende Teiledatenbank durchforsten, um konventionelle Verfahren lediglich durch additive Techniken zu ersetzen, und dann nur die reinen Teilepreise 1:1 vergleichen, bleiben ihnen die meisten wirtschaftlichen neuen Lösungen verborgen.

Gerade im Automotive-Sektor muss die Implementierung von additiver Fertigung auch mit Automatisierung einhergehen. Darüber spricht Branchenexperte Stephan Kühr auf unserem Partnerportal Mission Additive.

* Sonja Rasch, Sales Director Manufacturing Deutschland und Schweiz bei Materialise in 82205 Gilching, Tel. (0 81 05) 7 78 59-0

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