Grundlagen Automatisierungstechnik Wie man die richtige Automatisierungstechnik wählt
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Das richtige Automatisierungssystem auszuwählen, ist keine leichte Aufgabe. Wir geben eine Hilfestellung für den Automatisierungsingenieur, wie man die richtige Automatisierungstechnik auswählt.

Ein Automatisierungssystem auszuwählen, das aus vielen einzelnen Komponenten besteht, ist eine anspruchsvolle und schwierige Aufgabe. Im Folgenden geben wir deshalb einen Überblick, auf was Automatisierungsingenieure achten müssen.
Die Auswahl der Komponenten beginnt schon mit der Fragestellung, ob es sich um eine völlig neue Entwicklung, eine Modernisierung oder die Erweiterung einer bestehenden Anlage handelt und setzt sich fort in der Selektion der geeigneten Anbieter mit mehr oder weniger für die konkrete Anwendung geeigneten Produkten und Technologien.
In der Praxis werden üblicherweise zu jeder Komponente mehrere Angebote eingeholt, aus denen anschließend die Richtigen auszuwählen sind. Diese Aufgabe wird umso schwieriger, je größer die Bedeutung dieser Komponente für die Funktionalität des Produktionssystems ist. Handelt es sich um ein Normteil, wie beispielsweise ein bestimmtes Verbindungselement, für das es nur wenige Varianten und sehr viele Hersteller gibt, wird in der Regel nur ein guter Preis im Fokus der Betrachtungen stehen.
Viel schwieriger ist es bei fast allen Komponenten eines Automatisierungssystems, denn in modernen Produktionssystemen wird nahezu die gesamte Funktionalität über Automatisierung und Software realisiert. Die Auswahl eines geeigneten Automatisierungssystems ist daher die wohl schwierigste und in ihrer Tragweite wichtigste Aufgabe im Entwicklungsprozess. Dazu kommt die enorme Innovationskraft der Branche, die nahezu täglich neue Produkte, innovative Unternehmen und bessere Technologien hervorbringt.
Für die Komponenten eines Automatisierungssystems kommt auch unter diesem Aspekt eine Besonderheit zum Tragen. Bedenkt man, dass in der Automatisierungsbranche viele Technologiepakete von den Herstellern in Form von Hard- und Software exklusiv angeboten werden, ergeben sich bei fehlenden Alternativen mitunter Abhängigkeiten, die z.B. bei Ausfall eines solchen Herstellers nicht oder nur mit großem Aufwand kompensiert werden können.
VDI/VDE-Richtlinie 3694 als Richtschnur für Automatisierungssysteme
Die Anforderungen an die Inhalte von Lasten- und Pflichtenheften sind in zahlreichen Normen und Vorschriften festgelegt und besonders in öffentlichen Projekten auch verbindlich einzuhalten. Das gilt natürlich auch für den Entwurf eines Automatisierungssystems. Hier gilt die VDI/VDE-Richtlinie 3694 „Lastenheft/Pflichtenheft für den Einsatz von Automatisierungssystemen“. In der aktualisierten Fassung vom April 2014 finden vor allem die Aspekte der industriellen Kommunikation sowie der Sicherheitstechnik stärkere Beachtung.
Es ist anzumerken, dass sich die Richtlinie sehr stark an den Erfordernissen des Anlagenbaus orientiert. So wird beispielsweise einer ausführlichen Beschreibung der Ausgangssituation, den betrieblichen Organisationsstrukturen oder dem Berichtswesen größere Bedeutung beigemessen, als es im Maschinenbau üblich wäre. Dem liegt die Tatsache zugrunde, dass große Prozessanlagen selten auf der grünen Wiese entstehen, sondern eher bestehende Anlagen durch Adaption bzw. Migration umgebaut und modernisiert werden und auch anderen Anforderungen an die Betriebsweise oder der Sicherheit unterliegen.
Trotzdem ist die Richtlinie auch für den Maschinenbau praktikabel, wenn das analytische Herangehen entsprechend adaptiert wird. So kann beispielsweise an die Stelle der Beschreibung der Ausgangssituation eine Marktstudie treten, in der die Anforderungen an das Produktions- und Automatisierungssystem analytisch herausgearbeitet werden. Insofern bietet die Richtlinie 3694 auch für die Entwicklungsarbeit im Maschinenbau eine praktikable Richtschnur.
Lastenheft als sinnvolle Kombination aus Anforderungen und Freiräumen
Die Recherche zum Lastenheft beginnt mit einer Anforderungsanalyse. Es ist sinnvoll, hier beim Endprodukt anzusetzen bzw. bei dem, was das Produktionssystem (Anlage oder Maschine) leisten soll. Wird die Analyse durch die folgenden drei Perspektiven erweitert, liegen alle notwendigen Informationen vor, um das Lastenheft umfassend zu erstellen:
- 1. Verwendungsumfeld (Gegebenheiten am zukünftigen Standort des Produktionssystems)
- 2. Unternehmenseigene Ressourcen des Betreibers
- 3. Geplante Investition des Auftraggebers
Es liegt im Ermessen des Auftraggebers, welche konkreten Anforderungen in das Lastenheft aufgenommen werden. Eine Orientierung bietet die VDI/VDE-Richtlinie 3694.
In dem Fachbuch „Strukturierte Automatisierungssysteme“, auf dem dieser Artikel basiert, wird die VDI/VDE-Richtlinie 3694 für den Maschinenbau weiterentwickelt. Die Ausführungen eignen sich als Leitlinie und Orientierungshilfe für die Lastenhefterstellung von Automatisierungssystemen nahezu aller Produktionssysteme.
Bei Migrationsprojekten kann es zum Beispiel wichtig sein, die Vorgaben so genau wie möglich zu definieren, damit der Projektant sicher sein kann, mit den Angeboten exakt passende Pflichtenhefte zu erhalten. Zu viele Vorgaben können allerdings auch hinderlich sein. Anbieter sind dann nicht mehr in der Lage, eigenes Knowhow oder neue Technologien einzubringen. Dieser Punkt ist insbesondere bei der Neuentwicklung von Produktionssystemen zu beachten. Es sollten ausreichend Freiräume für externe Anbieter sowie die eigene F&E-Abteilung eingeräumt werden.
Technologie der Automatisierungstechnik
Neben dem Lasten- und Pflichtenheft spielt auch die Auswahl der richtigen Automatisierungskomponenten eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Produktionssystemen. Darauf wird im Folgenden eingegangen.
Technologische Aufgabe
In erster Linie entscheiden die Hauptaufgaben über die Konfiguration des Automatisierungssystems: Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine kleine Sägemaschine handelt, oder ob eine Fertigungszelle mit integrierten Robotern zu automatisieren ist.
Besonders gilt das für die Antriebskomponenten, bei denen die Betriebsweisen und die Art und Weise der benötigten Funktionalität über die Auswahl des gesamten Antriebsstranges, bestehend aus Motor, Getriebe, Ansteuergerät und Verbindungstechnik, entscheiden. Soll beispielsweise ein Fördersystem einfach nur in seiner Geschwindigkeit und ohne hohe Genauigkeitsanforderungen gesteuert werden, so können preiswerte Asynchronmotoren und Frequenzumrichter perfekt geeignet sein. Soll der Transport des Werkstückes jedoch mit hoher Präzision und synchron zur Bewegung eines Roboters erfolgen, werden preisintensivere Servoantriebe mit feinauflösenden Gebersystemen und hochdynamischen Verstärkern benötigt.
Systemarchitektur
Die Anforderungen an den strukturellen Entwurf eines Automatisierungssystems ergeben sich zunächst aus den allgemeinen Zielstellungen für die Gestaltung des Produktionssystems. Wird beispielsweise eine hohe Wandlungsfähigkeit angestrebt, muss von Beginn an eine geeignete Modularisierungsstrategie entworfen werden.
Der Entwurf entsprechender mechatronischer Einheiten erfolgt dabei im fortlaufenden iterativen Prozess, bei dem die Anforderungen an die technologische Funktionalität mit den Möglichkeiten von Mechanik und Automatisierungstechnik abgeglichen und verfeinert werden. Das so entwickelte Systemkonzept bildet die Basis für die Auswahl aller Komponenten.
Dynamische Anforderungen
Industrieautomatisierung bedeutet, Produktionsprozesse in Echtzeit zu steuern, zu regeln oder zu überwachen und das Automatisierungssystem muss diese Echtzeitanforderungen zwingend erfüllen. Dabei spielt es keine Rolle, um was für eine Anlage es sich handelt: Es muss jede einzelne Komponente auf ihre dynamische Leistungsfähigkeit hin überprüft und ausgewählt werden.
Sicherheitstechnische Anforderungen
Dazu gehören sowohl die Anforderungen an den Schutz vor Gefährdung von Personen, Maschinen, Produkten und der Umwelt (Safety) als auch der Schutz von Daten vor unberechtigtem Zugriff durch nicht autorisierte Benutzer (Security). Diese werden im Lastenheft benannt und sind ebenfalls schon im Systementwurf zu berücksichtigen.
Betriebssicherheit
Unter diesem Punkt sind Entscheidungen für das Verhalten der Automatisierungstechnik im Fall von Störungen oder Ausfällen jeder einzelnen Steuerungskomponente zu treffen. Was passiert, wenn die CPU aufgrund eines Soft- oder Hardwarefehlers ihren Dienst versagt? Wie soll auf den Ausfall eines I/O-Moduls oder eines einzelnen Kanals reagiert werden?
Dabei geht es an dieser Stelle nicht um die Betrachtung von möglichen Gefahrensituationen, die je nach Art der Gefährdung entsprechende Safety- und/oder explosionsgeschützte Komponenten erfordern. Betriebssicherheit bedeutet auch, bestimmte Fehler zu tolerieren und die Anlage entweder in voller oder eingeschränkter Funktionstüchtigkeit weiter betreiben zu können.
Dazu eignen sich beispielsweise redundante Systeme (Steuerungs-CPU, Feldbus, Infrastrukturkomponenten usw.), die auch bei Ausfall einzelner Komponenten eine ausreichende Betriebsfähigkeit und Funktionalität sicherstellen können.
Kommunikation
Die Kommunikationsfähigkeit eines Automatisierungssystems spielt in nahezu allen Prozessen eine entscheidende Rolle. In welcher Weise und mit welchen Komponenten dies realisiert werden kann und muss, ist bereits im Systementwurf festzulegen.
So kann im digitalen Produktionsumfeld die Forderung bestehen, die Daten bestimmter Prozesswerte unabhängig von der Steuerung eines einzelnen Produktionssystems direkt zu erfassen. In diesem Fall muss die Datenabfrage bestimmter Sensoren durch ein übergeordnetes System direkt möglich sein. Gleiches gilt für dezentrale Bedientechnik, Informationen aus einem Condition Monitoring und v.a.m.
* Prof. Dr.-Ing. Thomas Schmertosch ist Honorarprofessor an der HTWK Leipzig für das Fachgebiet „Komponenten der Automatisierung“
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