Tiefbohrverfahren Beeinflussung der Randzonenintegrität tiefgebohrter Bauteile

Von Robert Schmidt und Jan Nickel

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In industriellen Anwendungen spielt insbesondere bei dynamischen Komponenten die Ermüdungsfestigkeit eine entscheidende Rolle. Sie wird neben den Werkstoffeigenschaften durch die aus der Fertigungsroute resultierenden Randzoneneigenschaften der Komponenten beeinflusst. In diesem Beitrag werden die erzeugten Randzoneneigenschaften von Bohrungen in vergütetem 42CrMo4 mit einem Fokus auf Tiefbohrverfahren betrachtet.

Abbildung 1: Beeinflussung der Randzoneneigenschaften durch den Tiefbohrprozess.
Abbildung 1: Beeinflussung der Randzoneneigenschaften durch den Tiefbohrprozess.
(Bild: TU Dortmund)

Das BTA-Tiefbohrverfahren (Boring and Trepanning Association) wird überwiegend genutzt, um Bohrungen mit einem Durchmesser D > 40 Millimeter und einem Länge-zu-Durchmesserverhältnis l/D > 10 herzustellen. Überwiegend wird der Prozess auf Sondermaschinen durchgeführt. Ein BTA-Bohrkopf ist in Abbildung 1 dargestellt. Der asymmetrische Aufbau des Bohrkopfes führt zu einer ungleichmäßigen Verteilung der Schnittkräfte an den Schneiden. Um den daraus resultierenden Mittenverlauf der Bohrung zu verhindern, werden Führungsleisten verwendet, die den Bohrkopf in der Bohrung abstützen und führen.

Sowohl bei der Zerspanung als auch beim Abstützen wird die Bohrungsoberfläche mit einer thermomechanischen Belastung beaufschlagt. Durch diese Belastung wird die Randzone der Bohrung beeinflusst. In Abbildung 2 sind die Ergebnisse der Querschliffe aus Bohrproben mit verschiedenen Prozessparametern dargestellt. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich mit höherer Schnittgeschwindigkeit und Vorschub weiße Schichten, sog. WEL (White Etching Layer), ausbilden. Mikrohärtemessungen haben gezeigt, dass es neben der Formation von WEL zu einer signifikanten Aufhärtung in der Randzone kommt. Die Formation der WEL und die Aufhärtung der Randzone deuten auf eine thermisch induzierte Phasentransformation hin. Der Grundwerkstoff wird durch den BTA-Prozess über die Austenitisierungstemperatur gebracht und durch das Bohröl hinreichend schnell abgeschreckt/abgekühlt, sodass eine harte martensitische Phase im Randbereich entsteht. Durch hohe Prozessparameter wird die thermische Belastung in der Bohrungsrandzone erhöht und die Bildung von WEL begünstigt.

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Beeinflussung der Randzone beim Einlippen-Tiefbohren

Das Einlippen-Tiefbohren wird im Gegensatz zum BTA-Bohren für Tiefbohrungen mit einem geringeren Durchmesser im Bereich von D = 0,8…40 Millimetern eingesetzt. Auch dabei erfolgt durch den asymmetrischen Werkzeugaufbau des Einlippenbohrers (ELB) eine Übertragung eines Teils der Prozesskräfte an die Bohrungswand. Die im Prozess auftretende thermomechanische Randzonenbelastung verursacht Veränderungen der Randzoneneigenschaften, welche sich sowohl positiv als auch negativ auf die Funktionseigenschaften der Bauteile auswirken können. Bei hoch belasteten Komponenten stellt die Kühlschmierstrategie (KSS) neben den Schnittwerten einen entscheidenden Einflussfaktor auf die Randzoneneigenschaften dar. Abbildung 3 verdeutlicht die unterschiedlichen Gefügezustände in der Bohrungsrandzone, die bei Variation der KSS im Einlippentiefbohrprozess entstehen. So lagen die im Prozess auf die Bohrungswand wirkenden Temperaturen beim Einsatz von Emulsion und MMS deutlich höher als beim Einsatz von Tiefbohröl, was zur Bildung von WEL führte [2]. Diese WEL können durch Mikrohärtemessungen in der Bohrungsrandzone nachgewiesen werden. Unter Einsatz von Tiefbohröl wird hingegen eine mechanische Aufhärtung der Bohrungsrandzone ohne WEL-Bildung erzielt, was sich positiv auf die Funktionseigenschaften von tiefgebohrten Komponenten auswirken kann.

Die Randzoneneigenschaften tiefgebohrter Bauteile werden durch die im Zerspanprozess auftretenden thermomechanischen Belastungen beeinflusst. Die Höhe dieser Belastungen ist abhängig von den verwendeten Prozessparametern, wie den Schnittwerten oder der Kühlschmierstrategie. Durch das grundlegende Verständnis der thermomechanischen Effekte, die während der Zerspanung die Randzone beeinflussen, lassen sich während des Tiefbohrens die Randzonenintegrität gezielt beeinflussen und damit verbundene Funktionseigenschaften der Bauteile einstellen. Die Bauteilfestigkeit kompromittierende Defekte in der Randzone, wie die WEL-Bildung, können vermieden und Ressourcen und Kosten, die mit aufwendigen Prozessen zur Randzonennachbehandlung verbunden sind, eingespart werden.

Literatur

[1] Strodick, S., Bertfeld, K., Schmidt, R., Biermann, D., Zabel, A., Walther, F.: Influence of cutting parameters on the formation of white etching layers in BTA deep hole drilling, tm - Technisches Messen, 2020, https://doi.org/10.1515/teme-2020-0046

[2] Nickel, J.; Baak, N.; Walther, F.; Biermann, D.: Investigation of the thermomechanical loads on the bore surface during single-lip deep hole drilling of steel components. Procedia CIRP, 108 (2022), S. 805–810, doi: 10.1016/j.procir.2022.03.125

* Robert Schmidt und Jan Nickel sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Spanende Fertigung (ISF) an der TU Dortmund

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