Contra Produktpiraterie Markierungsfreier Plagiatschutz für spanend gefertigte Serienbauteile

Von Bernd Breidenstein, Marcel Wichmann und Hendrik Voelker

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Finanzielle Schäden durch Produktpiraten gehen in die Milliarden. Wie man sich in Zukunft zumindest bei Metallbauteilen davor besser schützen kann, zeigt dieser Forschungsbeitrag.

Wie man spanend hergestellte Serienbauteile identifizieren kann, ohne dass sie zuvor markiert wurden, haben Forscher von der Technischen Universität Hannover herausgefunden.
Wie man spanend hergestellte Serienbauteile identifizieren kann, ohne dass sie zuvor markiert wurden, haben Forscher von der Technischen Universität Hannover herausgefunden.
(Bild: IFW / PZH)

Produktfälschungen sind seit langem ein großes Problem für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Der monetäre Schaden durch Plagiate belief sich allein in Deutschland im Jahr 2020 auf 7,6 Milliarden Euro [VDM20]. Hinzu kommen ungerechtfertigte Ersatzansprüche an den Hersteller. Der daraus resultierende Imageverlust für die Betroffenen kann kaum in Zahlen gefasst werden. Zur Bekämpfung der Produktpiraterie werden die Bauteile seitens der Industrie häufig markiert. Der Nachweis, dass es sich bei einem Bauteil aus Regressansprüchen um ein Plagiat handelt, ist jedoch schwer zu erbringen. Aktuell nutzen Unternehmen verschiedene Arten von applizierbaren Markierungen. Dabei kann es sich um einfache QR-Codes oder Barcodes handeln. Diese sind jedoch einfach zu kopieren. Sicherer sind RFID-Chips, die allerdings leicht von der Bauteiloberfläche zu entfernen sind. Chemische Marker sind zwar robuster als RFID-Chips und besitzen eine höhere Fälschungssicherheit, benötigen aber einen zusätzlichen, zum Teil aufwendigen, Prozessschritt zur Applikation. Deshalb ist der Einsatz einer fälschungssicheren, effizienten und branchenübergreifenden Methode zur Bauteilidentifikation sinnvoll.

Bearbeitungsspuren ergeben digitalen Fingerabdruck

Außer durch applizierbare Markierungen ist eine Bauteilidentifikation aber auch über einzigartige Eigenschaften an dessen Oberfläche möglich. Vor diesem Hintergrund haben das Institut für Informationsverarbeitung (TNT) und das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover im Sonderforschungsbereich 653 eine Identifikationsmethode entwickelt, die auf stochastischen Oberflächenmerkmalen beruht. Bei dieser Methode werden über eine optische oder taktile Messung der Oberfläche markante Merkmale extrahiert. Die Position der Merkmale ist für jede Oberfläche aufgrund stochastischer Einflussgrößen einzigartig. Sie bildet quasi einen digitalen Fingerabdruck. Zu solchen stochastischen Einflussgrößen zählen etwa Spuren der Werkzeugscharten beim Fräsen oder die Riefen durch die einzelnen Korneingriffe beim Schleifen. Allgemein weisen gedrehte und gefräste Bauteile durch die definierte Schneide tendenziell einen geringeren Anteil stochastischer Einflussfaktoren auf, als geschliffene Werkstücke. Durch Anwendung der stochastischen Einflussgrößen erreicht die markierungsfreie Bauteilidentifikation eine Falsch-Positiv-Rate von 10-20 [BRE17]. Das eröffnet die Chance, Millionen von Bauteilen, die mit gleichbleibenden Prozesseinstellgrößen hergestellt wurden, eindeutig zu identifizieren.

Bild 1 zeigt die Funktionsweise der markierungsfreien Bauteilidentifikation. Für die Extrahierung des digitalen Fingerabdrucks nutzt das Identifikationsverfahren die kontinuierliche Wavelet-Transformation (CWT). Aus der optischen und taktilen Messung wird ein Profilschnitt (Bild 1.2) ermittelt, aus dem über die CWT ein Lokalspektrum (Amplitude der lokalen Ortsfrequenz in Abhängigkeit vom Ort) erzeugt wird (Bild 1.3). Insgesamt berechnet das Identifikationsverfahren den Durchschnitt aus 60 Profilen, um einen Profilquerschnitt zu bestimmen. Die Non-Maxima-Suppression erkennt dann Extrempunkte aus dem Ergebnis der CWT und definiert diese als Merkmale (Bild 1.4). Ein Merkmal definiert sich aus der Profilposition x und der dazugehörigen Frequenz f beziehungsweise aus der Wellenlänge λ.

Bild 1: Der Prinzip zur Extrahierung des digitalen Fingerabdrucks eines spanend bearbeiteten Bauteils, mithilfe seiner charakteristischen Bearbeitungsspuren.
Bild 1: Der Prinzip zur Extrahierung des digitalen Fingerabdrucks eines spanend bearbeiteten Bauteils, mithilfe seiner charakteristischen Bearbeitungsspuren.
(Bild: IFW)

Die CWT bringt den Vorteil, dass selbst bei einem teilweisen Verlust der Oberflächenmerkmale durch Kratzer oder Korrosion eine Identifizierung der Bauteile möglich ist [DRA11]. Aus Untersuchungen ist bekannt, dass eine erfolgreiche Identifikation lediglich die Hauptspektralanteile des Profilschnitts benötigt [BRE16, BRE17, HOC14]. Somit ist eine Identifizierung von Bauteilen nach dem Einsatz auch beim Endkunden möglich. Für den Abgleich zweier Fingerabdrücke wird der RANSAC-Algorithmus verwendet (Random Sample Consensus). Dabei handelt es sich um ein statistisches Verfahren, das Ähnlichkeiten in Datensätzen bestimmen kann. Im Sonderforschungsbereich 653 konnte die Methode anhand von 500 geschliffenen Werkstücken erfolgreich im Experiment validiert werden [BRE17].

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